Venezuela / Wirtschaft

Venezuela erklärt Wirtschaftsnotstand

Exekutive soll zusätzliche Befugnisse erhalten. Parlament muss über Dekret entscheiden. Wirtschaftsindikatoren für 2015 zeigen Ausmaß der Krise

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Entwicklung des Wirtschaftswachstums in Venezuela und des Erdölpreises
Die venezolanische Wirtschaft ist stark von der Entwicklung der Erdölpreise geprägt. Die Grafik zeigt die Entwicklung des Wirtschaftswachstums und des Erdölpreises seit 2007.

Caracas. Per Dekret hat der Präsident Venezuelas den Wirtschaftsnotstand erklärt. Damit reagierte Nicolás Maduro am Freitag auf die anhaltende Krise, die das südamerikanische Land durchlebt. Insbesondere jährliche Inflationsraten im inzwischen dreistelligen Bereich und massive Versorgungsengpässe bei vielen Gütern des täglichen Bedarfs sind Ausdruck der Krise, die sich seit nunmehr zwei Jahren entwickelt und sich durch den Einbruch der Erdölpreise verschärft hat.

Durch die Erklärung des Notstands erhält die Exekutive zusätzliche Befugnisse, um diesem zu begegnen. Dazu gehört die Verfügbarkeit über Haushaltsmittel, die Möglichkeit, den Zugriff auf Bargeld einzuschränken sowie in Privatunternehmen zu intervenieren. Allerdings sieht das Dekret selbst noch keine konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen vor.

Bevor der Notstand in Kraft tritt, muss das Präsidialdekret im Parlament diskutiert werden, in dem die Opposition seit Anfang des Jahres über eine breite Mehrheit verfügt. Ob sie ihm zustimmen wird, ist ungewiss. Ebenso muss die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs über die Verfassungsmäßigkeit befinden.

Im Zuge der Veröffentlichung des Notstandsdekrets im Gesetzesblatt hat die Zentralbank (BCV) nun auch lange zurückgehaltene Wirtschaftsindikatoren veröffentlicht, die das Ausmaß der Krise verdeutlichen. So liegt die kumulierte Inflation in den ersten neun Monaten des Jahres 2015 nach offiziellen Zahlen bei 108,7 Prozent. Im Jahresvergleich von September 2015 lag sie damit bei 141,5 Prozent. Zugleich befand sich die venezolanische Wirtschaft im dritten Quartal 2015 weiter in einer tiefen Rezession. Im siebten Quartal in Folge verringerte sich die Wirtschaftsleistung (BIP), dieses Mal um 7,1 Prozent (2015/I: -1,4 Prozent; 2015/II: - 4,7 Prozent). Für das letzte Quartal des Jahres fehlen die Zahlen jedoch weiterhin. Es ist wahrscheinlich, dass sich in dieser Zeit die Lage weiter verschärft hat.

Die Regierung von Nicolás Maduro sucht mit dem Dekret weiterhin nach Auswegen aus der Krise. Einerseits versucht sie offenbar, angesichts der oppositionellen Parlamentsmehrheit eigene Handlungsspielräume zu sichern. Andererseits ringt sie intern um die Maßnahmen, die zu treffen sind. Eine lang erwägte und nun vom Präsidenten angekündigte Erhöhung des Benzinpreises gilt als sicher - Benzin ist in Venezuela aktuell praktisch kostenlos und dessen Subventionierung kostet den Staat jährlich Milliardensummen. Auch eine Anpassung der Wechselkurskontrollen, wie sie bespielsweise der neue Minister für Außenwirtschaft, Jesús Faría, fordert, wird diskutiert. Wie genau die Regierung reagiert bleibt aber weiterhin offen.

Verschiedene wirtschaftspolitische Ansichten innerhalb der Regierung spiegeln sich auch im Anfang des Monats neu ernannten Kabinett wider. So berief Präsident Maduro einerseits den Industriellen (aber stets der Regierung loyalen) Miguel Pérez Abad in das Ministerium für Industrie und Handel. Dieser erklärte umgehend, dass eine Anhebung der staatlich regulierten Preise notwendig sei, um die Produktion anzukurbeln. Eben dies fordern Unternehmerverbände seit langem. Sie beklagen, dass die festgesetzten Preise für einige Grundnahrungsmittel unterhalb der Produktionskosten lägen und damit Ursache der Versorgungsengpässe seien.

Gänzlich anders argumentiert hingegen der neue Minister für Produktivwirtschaft, Luis Salas, der auch zum Vizepräsidenten für Wirtschaft ernannt wurde und damit formell das Wirtschaftskabinett leitet. Er macht vor allem Spekulation und Wucher für die Lage verantwortlich und will mehr staatliche Kontrolle über die Wirtschaft durchsetzen. Vieles deutet darauf hin, dass fundamental verschiedene wirtschaftspolitische Auffassung innerhalb der Regierung zu deren weitgehender Passivität im vergangenen Jahr geführt haben.