Leugnung der Verbrechen während der Militärdiktatur in Argentinien bald strafbar?

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Satirisches Bild von Victoria Villarruel mit Hitler-Bart. Dazu der Text: "Klaus Barbie stellt ein neues Verleugnungsmodell vor: Vickie Villarruel, mit Repression für alle und Straffreiheit für Folterer, Vergewaltiger, Mörder und Babydiebe."
Satirisches Bild von Victoria Villarruel mit Hitler-Bart. Dazu der Text: "Klaus Barbie stellt ein neues Verleugnungsmodell vor: Vickie Villarruel, mit Repression für alle und Straffreiheit für Folterer, Vergewaltiger, Mörder und Babydiebe."

Buenos Aires. Die Leugnung von Staatsterrorismus und Verbrechen während der Militärdiktatur soll in Argentinien unter Strafe gestellt werden. In dem südamerikanischen Land hat die als "Negationismus" bezeichnete Erscheinung politischen Handlungsbedarf hervorgerufen.

Mehrere Abgeordnete des Kongresses haben Initiativen erarbeitet, welche eine Bestrafung für Personen vorsehen, die Entführungen, Folter, Morde, das Verschwindenlassen von Kindern und die Aneignung von Babys leugnen oder verharmlosen. Ziel ist es, die Gesetzesvorhaben noch vor dem Regierungswechsel zu verabschieden. Am 22. Oktober finden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt.

Hintergrund ist einerseits der heftig entbrannte politische Kampf im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen. Andererseits haben diskursive Entgleisungen sowohl des ultrarechten Präsidentischaftskadidaten Javier Milei, als auch seiner Kandidatin für das Amt der Vizpräsidentin, Victoria Villarruel, vom Parteienbündnis "La Libertad Avanza" zu der Initiative beigetragen. Villarruel, die das Projekt der sogenannten "Gegen-Erinnerung" vorantreibt, kritisierte als Juristin Verfahren gegen ehemalige Militärs, pflegte Kontakte zu verurteilten Menschenrechtsverbrechern und leugnete in Interviews wiederholt die Zahl der Opfer des Staatsterrorismus in Argentinien.

Carlos Pisoni von der Menschenrechtsorganisation HIJOS (Hijos por la Identidad y la Justicia contra el Olvido y el Silencio) spricht von einer Welle der Verleugnung. "Wissen die sieben Millionen Menschen, die für Javier Milei gestimmt haben, wer Victoria Villarruel ist, die diejenigen verteidigt, die Frauen in klandestinen Zentren vergewaltigt haben?", fragte Pisoni.

Argentinien habe viele Fortschritte bei der Aufarbeitung der Verbrechen gegen die Menschheit gemacht, beispielsweise mit 1.100 Verurteilungen wegen Genozids, mit der Einrichtung von 20 "Orten der Erinnerung" oder mit Familienzusammenführungen von entführten Enkelkindern. Das Gesetz solle diesen Prozess der Erinnerung, der Wahrheit und der Gerechtigkeit unterstützen. Auch sei es das Ziel zu verhindern, dass die Spannungen, die die Leugnung der Verbrechen in der Gesellschaft auslösen, nicht weiter voranschreiten können, so Pisoni.

Menschenrechtsorganisationen wie HIJOS, die Mütter und Großmütter von der Plaza de Mayo sowie Angehörige arbeiten schon seit längerer Zeit an einem Projekt, das nicht nur die Leugnung der Verbrechen unter Strafe stellt, sondern auch Schulungen und Aufklärung vorsieht. Ihre Initiative zielt nur auf Inhaber öffentlicher Ämter ab. Die Strafe würde in einer Amtsenthebung von bis zu vier Jahren bestehen und die Betreffenden verpflichten, vor der Wiederaufnahme des Amtes eine Menschenrechtsschulung zu absolvieren. Sie würde für Staatsanwält:innen, Abgeordnete, Richter:innen und Regierungsmitglieder aller Ebenen gelten, die ein vom Staat anerkanntes Verbrechen gegen die Menschheit leugnen oder relativieren. Entsprechend soll auch die Leugnung des Holocausts oder die des Genozids an den Armeniern Eingang in das Strafgesetzbuch finden.

Kürzlich eingebrachte Initiativen, wie die der Abgeordneten Carolina Moises, sehen eine Freiheitsstrafe von zwei Monaten bis zu zwei Jahren vor. In schweren Fällen könnte sogar eine Amtsenthebung und der Ausschluss von der Ausübung öffentlicher Ämter für die doppelte Dauer der Strafe angewandt werden.

Félix Crous, der als Staatsanwalt viele Fällen von Verbrechen gegen die Menschheit verfolgt hat, sieht im Negationismus den Versuch einer "falschen Geschichtsschreibung, die darauf abzielt, die Bedingungen zu schaffen, um die verleugneten Praktiken zu wiederholen". Auch gehe es darum, "die Opfer zu diskreditieren und die Realität, gegen die die Verdrängten gekämpft haben, wiederherzustellen oder zu konsolidieren".

Crous, der auch Leiter des Antikorruptionsbüros war, verwies auf eine Tendenz der letzten Jahre unter konservativen und rechtsgerichteten Politiker:innen. In diesen Kreisen, zu denen er auch den ehemaligen Präsidenten Mauricio Macri und die Präsidentschaftskandidatin Patricia Bullrich zählt, werde die Existenz des Staatsterrorismus während der Diktatur zunehmend infrage gestellt.