Venezuela / Politik

Venezuela: Der "gleiche alte" Weg und der "gefährliche" Weg

VA-Kolumnistin Jessica Dos Santos befasst sich mit dem laufenden Wahlkampf und den verschiedenen Szenarien im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen

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Im Gegensatz zu den Kampagnen von Chávez wirken die aktuellen uninspiriert, sagt Jessica Dos Santos
Im Gegensatz zu den Kampagnen von Chávez wirken die aktuellen uninspiriert, sagt Jessica Dos Santos

Als Hugo Chávez zum ersten Mal die Präsidentschaft gewann, war ich erst neun Jahre alt. Dennoch erinnere ich mich lebhaft an seinen Sieg, und noch mehr an die epische Stimmung, die seinen Wahlkampf begleitete.

Damals wohnte ich im Zentrum von Caracas, nur acht Häuserblocks vom Präsidentenpalast Miraflores entfernt, und von meinem Fenster aus sah ich einmal, wie Chávez' Hauptkonkurrent Henrique Salas Romer auf dem "Frijolito" vorbeizog, einem weißen Pferd, das angeblich dem des Unabhängigkeitshelden Simón Bolívar ähnelte. Nicht gerade die inspirierendsten Kapriolen...

Im Osten der Stadt versuchte unterdessen Irene Sáenz, eine ehemalige Miss Venezuela und Miss Universe, ihre erfolgreiche Amtszeit als Bürgermeisterin der Mittelklassegemeinde Chacao als Plattform zu nutzen. Sie beging jedoch den fatalen Fehler, sich mit den Sozialchristen der Partei COPEI zu verbünden, was das Ende einer vielversprechenden politischen Karriere bedeutete.

Wie dem auch sei, weder Sáenz noch Salas Romer waren dem Hurrikan gewachsen, den Chávez repräsentierte. "Wir sind eine Lawine des Volkes, die nicht aufzuhalten ist", rief er nach der Verkündung seines Sieges im Dezember 1998.

Das waren noch Zeiten, in denen die Politik wirklich echt war. Ich erinnere mich, dass viele Chávez-Sympathisanten begannen, eine rote Barettmütze zu tragen, das Symbol des Fallschirmjägerbataillons, das an der Spitze des fehlgeschlagenen Aufstandes vom 4. Februar 1992 stand. Chávez, damals ein junger Leutnant, erntete Beifall, da er Verantwortung übernahm und den verrotteten Charakter der Vierten Republik aufdeckte.

Einmal an der Macht, produzierte der Chavismo Kampagnen, die alle an politischer Kommunikation Interessierten faszinierten. Mit wenigen Mitteln und viel Kreativität schufen engagierte Aktivisten Lieder, Slogans und vieles mehr, um das Projekt voranzutreiben. Ich hatte das Glück, mit den Menschen zusammenzuarbeiten, die hinter einigen der größten Erfolge stehen.

Sogar die Opposition hatte ihre inspirierenden Momente, wie das denkwürdige Motto "Der Teufel war schon immer rot" während des Abberufungsreferendums 2004. Es reichte jedoch nicht aus, da das venezolanische Volk seine überwältigende Unterstützung für die Revolution zeigte.

Darüber hinaus gab es einen Kampf zwischen den traditionellen Medien und den neuen Kommunikationsinitiativen, die mit Chávez aufkamen, sowie ein ständiges Bemühen, neue Wege zu finden, um die Menschen zu erreichen und den Protagonismus des Volkes zu fördern.

Heute, 25 Jahre und mehr als 30 Wahlvorgänge später, hat sich viel verändert. Für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen am 28. Juli haben alle Kandidaten ihre Kampagnen lange vor den von den Wahlbehörden festgelegten Terminen begonnen und niemand hat mit der Wimper gezuckt. Auch die sozialen Medien spielen inzwischen eine entscheidende Rolle. Aber im Mittelpunkt stehen viel Lärm und die Betonung von Oberflächlichkeiten (zum Beispiel die Sicherstellung, dass die Kundgebungen vor der Kamera beeindruckend aussehen), während die eigentliche Botschaft nur wenig Bedeutung hat.

Auch die Wahlkampfreden klingen abgenutzt. Maduro wettert gegen ein "altes Gespenst" des Kapitalismus und meint damit eindeutig Edmundo González, dessen Hauptproblem nicht sein Alter, sondern seine Rolle als Marionette ist. Auf der anderen Seite verspricht María Corina Machado, die "Schuldigen" in der Regierung ins Gefängnis zu bringen (oder Schlimmeres...).

Beide sind eher darauf bedacht, Angst zu schüren, falls sie verlieren. Maduro warnt vor einem Weltuntergangsszenario, sollten die Rechtsradikalen an die Macht kommen. Machado & Co. drohen damit, dass die Wirtschaft wieder in Schwierigkeiten geraten wird, dass es zu internationaler Isolation und mehr Migration kommen wird.

Es ist ein bekanntes Drehbuch, bei dem die Opposition nicht für ihren Kandidaten wirbt und ihre Anhänger lediglich dazu aufruft, "gegen den Chavismus" zu stimmen, der Rest wird sich dann schon finden. Einen konkreten Vorschlag für das Land gibt es nicht. Zumindest keinen, den sie öffentlich zu präsentieren wagen und der nicht allerlei Strukturanpassungen verspricht.

Maduros Lager verweist auf die Schäden, die durch die von den USA verhängten Sanktionen entstanden sind, wann immer sich die Menschen über Wasser-, Strom- oder Gasmangel beschweren. Der Präsident ist wieder auf die Straße gegangen, nachdem er es nach dem Attentat von 2018 jahrelang vermieden hatte, Wahlkampf zu machen. Und er hat die Probleme aus erster Hand gesehen, nicht nur bei den öffentlichen Dienstleistungen, sondern auch bei den Straßen in schlechtem Zustand, bei Treibstoffmangel, Beleuchtungsproblemen usw., und er hat von seinen Ministern "sofortige Lösungen“ gefordert, selbst wenn die Probleme langfristige Pläne erfordern.

Die Opposition, oder besser gesagt Machado, ist ebenfalls auf die Straße gegangen. Sie hat zwar nicht die Mätzchen von Salas Romer auf dem weißen Pferd nachgemacht, aber ihre Anhänger versichern, dass sie sich wie eine Targaryen auf einem Drachen bewegt. Ja, so lächerlich klingt das...

Wie kann es nicht lächerlich sein, wenn diese Frau Bauchrednerin spielt und ein Poster des eigentlichen Kandidaten Edmundo González mit sich herumträgt? Ab und zu weicht sie vom Text ab und spricht davon, was sie tun wird, "wenn sie Präsidentin ist...", was immer wenig mehr ist als "Freiheit bringen". González sagte in einem Interview, Machado könne in der Regierung "jede Rolle spielen, die sie sich wünscht", was nicht sehr vertrauenserweckend ist.

Wenn González zur Teilnahme gezwungen wird, lässt sich das Offensichtliche nicht verbergen: Er hat Schwierigkeiten, sich fortzubewegen, und erst recht, auf die Bühnen zu steigen. Eine Grippe hat ihn so weit außer Gefecht gesetzt, dass er seine Teilnahme am Wahlkampf nur zehn Tage vor der Wahl aussetzen musste.

In seinen Videos und Reden spricht er einfach alles nach, was Machado sagt, und hat einen deutlichen "Holt mich hier raus"-Ausdruck in den Augen. Ich kann mich nur an den ehemaligen Präsidenten Rafael Caldera in den neunziger Jahren erinnern, als er während der Fernsehübertragungen einschlief und das Kamerateam keine Anstalten machte, ihm die Schamesröte zu ersparen.

Im Gegensatz zu den neuen Kampagnen von Chávez wirken die jetzigen uninspiriert. Und nicht nur das, man hätte meinen können, dies sei die Zeit für nüchterne und transparente Kampagnen. Aber nein, so ist es nicht.

Rechte Meinungsmacher weisen darauf hin, dass die Regierungskampagne mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, ignorieren aber völlig die in den vergangenen Jahren gestohlenen Staatsgelder, seit diese lächerliche "Interimsregierung" aufgetaucht ist, um sich der Ressourcen zu bemächtigen, mit denen politische Aktivitäten ... und Putschversuche finanziert wurden.

Alles in allem sind die Menschen nicht begeistert, zumindest außerhalb der Echokammern. Es gibt Dutzende von Meinungsumfragen, die denjenigen begünstigen, der sie in Auftrag gegeben hat, und jeder macht das. Dennoch haben sie etwas gemeinsam: Viele der Befragten wissen entweder nicht, wen sie wählen werden, oder sie weigern sich, dies anzugeben. Die Unsicherheit liegt in der Luft, und sie ist spürbar.

Im Falle eines Wahlsieges Maduros rechnen die Menschen mit einer Verschärfung der Sanktionen, einer Strangulierung der Wirtschaft und internationalen Konflikten, insbesondere angesichts des wahrscheinlichen Wahlsiegs Donald Trumps im November. Vor diesem Hintergrund rebelliert die chavistische Basis weiterhin gegen ein Imperium, das sie zu unterwerfen versucht.

Wenn González gewinnt, ist das der Auftakt für den Einzug der Ultrarechten. Ganz gleich, wie sehr er von Frieden, Dialog, geordnetem Übergang und so weiter spricht, seine Komplizin (Machado) verrät sofort, dass dies nicht der Fall sein wird. Und in unserer Region gibt es genügend Präzedenzfälle, wenn es um Repression und Verfolgung von Volksbewegungen geht.

Zum Abschluss dieser Kolumne möchte ich noch einmal auf die vergessene Irene Sáenz zurückkommen und auf etwas, das sie während des historischen Wahlkampfes 1998 sagte. "Warum sind wir gezwungen, zwischen dem gefährlichen Weg und dem gleichen alten Weg zu wählen? Eine neue Generation sollte an der Reihe sein."

Damals war die Rechte "das Alte" und Chávez war die "Gefahr". Er erwies sich tatsächlich als eine Gefahr für die Eliten und die globalen Supermächte, im besten Sinne.

Heute, nach 25 Jahren an der Macht, hat die Regierung Abnutzungserscheinungen und braucht eine große Anstrengung, um "Transformationen" zu versprechen. Ob es ihr gefällt oder nicht, sie ist "das Alte" geworden.

Aber auf der anderen Seite ist die "gefährliche" Option wirklich gefährlich: der Aufstieg der Ultrarechten unter dem Deckmäntelchen eines harmlosen alten Mannes und mit einem Durst nach Rache.