Venezuela

"Unser Sozialismus ist ein Synonym für Demokratie"

Vor der Gründung der Vereinten Sozialistischen Partei in Venezuela: Debatte um politische Zukunft. Ein Gespräch mit Laureano Seijas

Laureano Seijas ist Mitglied der venezolanischen Abgeordnetengruppe im Lateinamerikanischen Parlament und Delegierter zum Gründungsparteitag der Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV)

Am nächsten Wochenende soll in Caracas der Gründungsparteitag der Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV) beginnen. Warum ist es notwendig, dass sich die bisherigen Regierungskräfte zusammenschließen?

Mit der Gründung der PSUV wird versucht, die Schemata der Parteienpolitik zu durchbrechen, die sich in Venezuela und weltweit über Jahrzehnte hinweg verfestigt haben. Die Regierung von Hugo Chávez wird von zahlreichen Parteien unterstützt. Sie alle sind nun aufgefordert, sich in die gemeinsame Gruppierung einzugliedern.

Eine neue Partei schafft aber doch kein neues System. Inwieweit wird sich die PSUV von dem bisher Bestehenden unterscheiden?

Einen wichtigen Unterschied gibt es, denn die PSUV entsteht von der Basis aus. Sie wird gewissermaßen von Volk getragen, während der politische Entscheidungsprozess bislang von oben nach unten stattfand.

Vor einigen Tagen erschien in einer deutschsprachigen Zeitung ein Interview mit dem Expolitiker und oppositionellen Journalisten Teodoro Petkoff. Er warf Präsident Chávez vor, mit der PSUV seine Macht absichern zu wollen.

Ja, das sind die üblichen Vorwürfe. Dabei ist die tatsächliche Idee, der sektiererischen Politik entgegenzuwirken, der selbst einige der linken Parteien anhängen, von denen der Transformationsprozess unterstützt wird. Es ging auch zu keinem Zeitpunkt um ein »Einheitsdenken«, vor dem die Opposition ständig warnt.

Sehen Sie denn einen Unterschied zwischen der Kritik der rechten Opposition und den Vorbehalten bisheriger Koalitionsparteien, die nicht in der PSUV aufgehen wollen? Das betrifft die sozialdemokratischen Gruppierungen Podemos und PPT, aber auch die Kommunistische Partei (PCV).

Diese drei Parteien haben sich aus freien Stücken entschieden, dem Aufruf zur Gründung einer einheitlichen Kraft nicht nachzukommen. Aber natürlich gibt es Unterschiede. Die PCV ist die Partei mit der längsten Geschichte in Venezuela. Sie hat sich deswegen entschieden, ihre Struktur beizubehalten, ohne Chávez und dem revolutionären Prozess ihre Unterstützung zu entziehen. Ähnliches gilt für die PPT. Im Fall von Podemos glaube ich, dass diese Partei eine Grenze überschritten hat und inzwischen auf der Seite der Opposition steht.

Trotzdem bleiben Zweifel. Auch in Teilen der deutschen Linken wird die PSUV-Gründung kontrovers diskutiert. Wie kann die Demokratie gestärkt werden, wenn mehrere Parteien verschwinden, weil sie in einer Gruppierung zusammengeschlossen werden?

Es geht doch nicht um einen »Zusammenschluss von Parteien«. Es geht darum, dass eine große Partei entsteht, eine vereinigte und von der Bevölkerung gestützte Kraft. Natürlich hat die Oligarchie davor Angst, und deswegen versucht sie, die revolutionären Kräfte zu spalten. Deswegen wird auch die Leitfigur, Präsident Hugo Chávez, angegriffen.

Aber die fortschrittlichen Kräfte können sich doch nicht nur über die Angriffe der Rechten definieren.

Nein, deswegen müssen wir versuchen, diese Revolution politisch zu stärken: mit den Kommunalen Räten, den kommunalen Regierungen und der Selbstverwaltung. Auf diese Weise bauen wir unseren Sozialismus auf, der ein Synonym für Demokratie ist.

Und das soll ihn vom historischen Vorbild, das in Europa gescheitert ist, unterscheiden?

Der Bolivarische Sozialismus des 21.Jahrhunderts hat wenig mit den zuvor bestandenen sozialistischen Modellen zu tun. Aber die Debatte ist noch im Gange. Und der Charakter unseres Sozialismusmodells soll ja gerade auf dem Gründungsparteitag diskutiert werden, der ab dem 11. November stattfinden soll. Dazu werden gut 1600 Delegierte aus dem ganzen Land erwartet, die von den Basisversammlungen der sozialistischen Verwaltungsbezirke gewählt wurden. Jeder dieser Bezirke besteht aus zehn bis zwölf sozialistischen Bataillonen, in denen jeweils rund 300 Personen organisiert sind.

Und wie wollen Sie vermeiden, dass innerhalb der PSUV eine neue Parteibürokratie entsteht?

Indem wir eine kontinuierliche Debatte mit der Basis aufrechterhalten. Die neuen Partei wird durch ihren Aufbau von unten nach oben verhindern, dass sich eine kleine Elite herausbildet, die den gesamten Apparat kontrolliert. Sie wird so sein, wie Antonio Gramsci es sich vorgestellt hat: eine Partei der Massen, die sich an der Basis organisiert. Die neue Partei wird nicht das Volk, sondern das Volk wird die Partei kontrollieren. Anders gesagt: Wir wollen keine zentralistische Frontpartei aufbauen, sondern eine Partei der Fronten, in denen sich alle Gruppen jeweils organisieren: Bauern, Studenten, Arbeiter, Frauen oder Indigene.


Das Interview finden Sie im Original hier.