Opferorganisationen in Kolumbien unterstützen Übergangsjustiz

Bedingungen für Kampf gegen Straflosigkeit enthalten. Rechte verbreiten verzerrte Informationen und fürchten Aufklärung staatlicher Verbrechen durch Sondergerichte

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In einem offenen Brief haben Organisationen für Menschenrechte und die Belange von Opfern des bewaffneten Konfliktes ihre Unterstützung der Übergangsjustiz bekräftigt
In einem offenen Brief haben Organisationen für Menschenrechte und die Belange von Opfern des bewaffneten Konfliktes ihre Unterstützung der Übergangsjustiz bekräftigt

Bogotá. Organisationen für Menschenrechte und die Belange von Opfern des bewaffneten Konfliktes haben ihre Unterstützung der Übergangsjustiz bekräftigt, die zwischen der kolumbianischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc) vereinbart wurde.

"Wir sehen, dass im Vorfeld der Volksabstimmung Informationen verzerrt und Lügen verbreitet wurden, die behaupteten, das Abkommen hätte allgemeine Straflosigkeit begünstigt. Wir teilen diesen Standpunkt nicht", sagte der Anwalt Alberto Yepes. Der Vertreter der Koordination Kolumbien, Europa und USA hatte gemeinsam mit sechs Menschenrechtsorganisationen einen offenen Brief an Präsident Juan Manuel Santos,  Farc-Anführer Rodrigo Londoño und ELN-Chef Nicolas Rodriguez und die kolumbianische Gesellschaft geschrieben, um die Zustimmung zur vereinbarten Übergangsjustiz deutlich zu machen.

Die Einigung über die Entschädigung der Opfer und die Übergangsjustiz war einer der schwierigsten und am längsten diskutierten Punkte der Agenda. Es gab eine hohe Beteiligung der Opfer in Friedensforen und am Verhandlungstisch in Havanna. "Viele ihrer Bedenken, Positionen und Vorschläge wurden bereits aufgenommen", sagte Yepes im Interview mit Contagio Radio. Im Vertrag sehen seine und andere Organisationen wie die nationale Bewegung für Opfer staatlicher Gewalt (Movice) die "minimalen Bedingungen für den Kampf gegen Straflosigkeit" enthalten sowie "die Rechte der Opfer auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung" gewährt.

Im Rahmen der Übergangsjustiz ist die Gründung einer Wahrheitskommission für die historische Aufarbeitung des bewaffneten Konflikts geplant. Ein Sondergericht für den Frieden sollte den Paramilitarismus, die Rolle des Staates und der Guerilla bei den registrierten Menschenrechtsverletzungen juristisch aufklären. Im Vertrag sind fünf bis acht Jahre Freiheitsentzug für geständige Täter von gravierenden Verbrechen vorgesehen, allerdings nicht in konventionellen Gefängnissen. Eine Amnestie für die Guerilla bei Delikten, die mit der Finanzierung des Aufstandes zusammenhingen, wie der Drogenhandel, war ebenfalls Teil.

"Das Abkommen gewährleistet, dass alle Verantwortlichen von Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des bewaffneten Konfliktes Rechenschaft über ihre Taten vor Gericht ablegen. Die vereinbarte Übergangsjustiz zielte auf die Überwindung der strukturellen Straflosigkeit und Aufklärung der staatlichen Verbrechen gegenüber organisierten Sektoren der Zivilgesellschaft", hieß es im Kommuniqué der Menschenrechtsorganisationen.

Nach dem Scheitern des Plebiszits am 2. Oktober reichte die rechte Opposition Vorschläge zu Änderungen des Friedensabkommens ein. Der frühere Präsident und heutige Senator Álvaro Uribe plädierte dafür, dass Soldaten vor Gericht rechtliche Vorzüge genießen sollten und unterstrich die Äußerungen von Generalstaatsanwalt Nestor Humberto Martínez, wonach die Verbrechen im Rahmen des Konfliktes mit der Guerilla mit bestehenden juristischen Mitteln aufgearbeitet werden können. Für den Senator der Partei Centro Democrático beinhaltete die mit den Farc vereinbarte Übergangsjustiz "exorbitante Befugnisse" für das Sondergericht für den Frieden, welches seiner Meinung nach die bestehende Gesetzgebung des Landes ausgehebelt hätte.

Damit beziehen sich Uribe und der Generalstaatsanwalt auf das Gesetz "Gerechtigkeit und Frieden", das während seiner Präsidentschaft für die Entwaffnung des paramilitärischen Dachverbandes "Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens" (AUC) erlassen und später auf Mitglieder der Guerilla ausgeweitet wurde. Die Menschenrechtsorganisationen sind sich jedoch darin einig, dass dieses Gesetz weder den Rechten der Opfer gerecht wird noch die Straflosigkeit bekämpft. Darin sind Gefängnisstrafen von fünf bis acht Jahre für bewaffnete Akteure vorgesehen, wobei sie in die Freiheit entlassen werden können, ohne zum Prozess der Wahrheitsfindung wesentlich beizutragen.

"Zehn Jahre nach der Umsetzung des Gesetzes wurden nur 46 Urteile gefällt und die Straflosigkeit bei staatlichen Verbrechen liegt bei 98 Prozent", schrieben die Organisationen in dem oben genannten Brief an die Delegierten beider Konfliktparteien, die zur Zeit in der kubanischen Hauptstadt das Abkommen nachverhandeln. Laut Yepes ist die Debatte der Rechten Indiz für die Existenz von Sektoren der Gesellschaft, die fürchten, dass die Wahrheitskommission Hintergründe über Personen aufdecken könnte, die eine Beteiligung an staatlichen Verbrechen nachweisen oder zumindest einen Bezug zur Partei Centro Democrático herstellen würden.

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