Brasilien / Politik

Parlament von Brasilien beschließt neues Finanzgerüst für Staatshaushalt

Staatsausgaben an Wachstum und Einnahmen gekoppelt. Regierung spricht von gutem Kompromiss. Kritiker sehen Form der Ausgabenbremse

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Nach der Abstimmung in der Abgeordnetenkammer
Nach der Abstimmung in der Abgeordnetenkammer

Brasília. Das brasilianische Abgeordnetenhaus hat den Gesetzestext für ein neues Finanzgerüst, den sogenannten "arcabouço fiscal", beschlossen. Das "Projeto de Lei Complementar" 62/23 umfasst eine Reihe von Maßnahmen und Regeln, mit denen die Einnahmen des Bundes gesteigert und seine Ausgaben begrenzt werden.

Das unter den Vorgängerregierungen Michel Temer (2016-2018) und Jaír Bolsonaro (2019-2022) erlassene "Ausgabendach" wird damit ersetzt, das mit der Deckelung öffentlicher Ausgaben viele Kürzungen im öffentlichen Bereich rechtfertigte.

Der neue Rahmen begrenzt die Steigerung der Bundesausgaben auf maximal 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (im Jahr 2022 umgerechnet rund 1,9 Billionen Euro).

Damit dürfen die Primärausgaben ‒ die Finanzierung öffentlicher Dienste, z.B. Gesundheits- und Bildungswesen, ohne Schuldendienste ‒ um höchstens 70 Prozent der Wachstumsrate der Einnahmen ‒ etwa Steuern ‒ pro Jahr erhöht werden. Steigen zum Beispiel die Einnahmen um zwei Prozent, dürfen die Ausgaben um maximal 1,4 Prozent steigen. Ein neuer Ausgleichsmechanismus soll verhindern, dass die Bundesausgaben in Wachstumsphasen unverhältnismäßig steigen oder in Stagnationsphasen unverhältnismäßig gekürzt werden. Bei Verstößen gegen die Auflagen können Strafzahlungen verhängt werden.

Das neue Regelwerk will die in auch durch die Folgen der Pandemie gestiegene Verschuldung des Bundes (rund 90 Prozent des BIP) begrenzen, der Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva aber auch die notwendigen Mittel zur Finanzierung von Sozialprogrammen einräumen.

Dennoch musste die Regierung einige Zugeständnisse machen. So werden die Zuwendungen für den nationalen Grundschulentwicklungsfonds sowie die Bundesausgaben für Wissenschaft und Technologie, die deutlich erhöht werden sollten, durch den neuen Rahmen begrenzt. Auch wurde ein vom Senat eingebrachter Zusatz, der circa acht Milliarden Euro Zusatzausgaben als Inflationsausgleich erlaubt hätte, vom Parlament abgelehnt.

Verbündete von Lula und der Regierung bestritten, dass die Zurückweisung dieser Punkte eine Niederlage für die Regierung sei. Unter den Fraktionsführer:innen sei vereinbart worden, einige der von der Regierung gewünschten Zusätze an anderer Stelle in den Haushaltsentwurf für 2024 einzuarbeiten, der in den kommenden Tagen dem Parlament übermittelt werden muss.

Die Verabschiedung des "arcabouço fiscal" beendete ein mehrmonatiges Kräftemessen zwischen der Regierung der Arbeiterpartei PT und den beiden Kammern des Kongresses, die beide von den oppositionellen Mitte-rechts-Parteien dominiert werden.

Die Entscheidung erfolgte mit deutlicher Mehrheit: 372 Abgeordnete stimmen für, 108 gegen die Vorlage. Damit gelang es der Regierung, viele Abgeordnete der Mitte-rechts-Parteien für den Kompromiss zu gewinnen. Die meisten Gegenstimmen kamen von Ex-Präsident Jair Bolsonaros "Liberaler Partei" (PL), von der zugleich 30 Abgeordnete für die Vorlage stimmten.

Vizepräsident und Industrieminister Geraldo Alckmin lobte den "arcabouço", weil dieser "fiskalische Verantwortung sowie Vorhersehbarkeit und Nachhaltigkeit von öffentlichen Investitionen sichert". Für Finanzminister Fernando Haddad (PT) trägt der neue Finanzrahmen zu "nachhaltigem Wachstum" bei, für Alexandre Padilha (PT), Minister für institutionelle Beziehungen, stellt er ein Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben her.

Die Nachrichtenagentur "Brasil de Fato" kritisierte dagegen, dass die neuen Regeln den Finanz- und Börsengurus besser gefielen als progressiven Ökonomen. Geschlossen dagegen stimmten die zwölf Abgeordneten der linken "Partei für Sozialismus und Freiheit" (PSOL). Sie bemängelten, dass die nun möglichen Ausgabensteigerungen etwa in den Bereichen Bildung und Gesundheit bei weitem nicht ausreichend seien.