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Brasilien: Soziale Bewegung besetzt nach Überschwemmung ehemaliges Staatsgebäude

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Transparente am besetzten Gebäude
Transparente am besetzten Gebäude in Porto Alegre

Porto Alegre. Im historischen Zentrum der Hauptstadt des Bundesstaates Rio Grande do Sul hat die Bewegung der Kämpfe in Stadtvierteln, Städten und Favelas (MLB) das ehemalige Gebäude der Staatlichen Stiftung für Umweltschutz Henrique Luis Roessler besetzt. Bis zu 100 Familien aus der Peripherie von Porto Alegre, die durch die Überschwemmungskatastrophe obdachlos geworden sind, beteiligten sich an der Aktion.

Noch am selben Tag räumte die Militärpolizei das Gebäude. Hunderte Polizist:innen vertrieben die Familien. Guilherme Brasil, einer der nationalen Koordinatoren der MLB, wurde dabei festgenommen.

In einer Erklärung verteidigte die Bewegung die Besetzung der ehemaligen Umweltschutzstiftung. "Nur der Kampf verändert das Leben, nur mit organisierten Menschen können wir den von den Überschwemmungen betroffenen Menschen Wohnraum und ein Leben in Würde garantieren! Ein Leben in Würde ist ein Privileg, die Besetzung ist ein Recht", so die MLB.

Die Besetzung sollte auf die fehlende Wohnungspolitik in der aktuellen kritischen Lage aufmerksam machen. Tausende Menschen hätten, nachdem sie die Notunterkünfte verlassen haben, keinen anderen Ort zum Leben. Die MLB-Koordinatorin Helena Andrade betonte, die Bewegung würde Besetzungen organisieren, um der Gesellschaft zu zeigen, dass es Tausende öffentlicher Gebäude gibt, die keine soziale Funktion hätten und für Sozialwohnungen vorgesehen werden sollten.

"Die Besetzung ist eine grundlegende Form der kollektiven Organisation für Familien, die durch die Überschwemmungen alles verloren haben. Wir kämpfen für […] eine Gesellschaft ohne soziale Ungleichheiten, in der jede:r ein Dach über dem Kopf hat und in Würde leben kann", heißt es weiter.

Nach Berichten der MLB soll das staatliche Gebäude seit mehr als zehn Jahren ungenutzt sein. Nach den von der Bewegung veröffentlichten Fotos und einem Video soll sich das Gebäude in einem prekären und vermüllten Zustand befunden haben – ohne Stromanschluss sowie mit vernachlässigtem Mobiliar ausgestattet. Laut den Berichten der Organisation hätten die Familien innerhalb kurzer Zeit nach der Besetzung eine Gemeinschaftsküche, eine Kinderkrippe und Schlafräume im Gebäude organisiert.

Die MLB benannte die Besetzung nach Sarah Domingues. Sie war eine Aktivistin und Studentin der Architektur und Stadtentwicklung. Domingues war auch Direktorin der Nationalen Studierendenunion (UNE) und des Zentralen Studentenverzeichnisses der Universität von Rio Grande do Sul. Im Januar wurde sie während ihrer Forschung zu den Überschwemmungen auf Ilha das Flores in Porto Alegre erschossen.

Die Besetzung der ehemaligen Stiftung für Umweltschutz war bereits die vierte derartige Aktion der MLB seit den Überschwemmungen Anfang Mai in Porto Alegre. Andere soziale Bewegungen wie die Jugendunion der Rebellion, die Olga-Benario-Frauenbewegung oder die Klassenkampfbewegung unterstützten die Aktion der MLB.

Nach Angaben des Zivilschutzes von Rio Grande do Sul sind 2.398.255 Brasilianer:innen im ganzen Bundesstaat von den Überschwemmungen betroffen. Insgesamt 422.753 Menschen sind obdachlos und etwa 10.793 Personen sind in Notunterkünften untergebracht worden.