Gewaltwelle in der Karibik: Staaten sehen Organisierte Kriminalität als größtes Problem

Die Karibik hat sich zur Weltregion mit den höchsten Mordraten entwickelt. Ausbreitung von Banden, die mit internationalem Drogenhandel verbunden sind

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Ausnahmezustand verhängt: Polizeieinsatz in Southside Belize City, Roaring Creek (Screenshot)
Ausnahmezustand verhängt: Polizeieinsatz in Southside Belize City, Roaring Creek (Screenshot)

Georgetown et al. Die Staaten der Karibik sehen angesichts steigender Mordraten die Gewalt des Organisierten Verbrechens als größtes Problem der Region an.

Die Generalsekretärin der Karibischen Gemeinschaft (Caricom), Carla Barnett, hat die Bandenkriminalität als "eine Epidemie" bezeichnet. Sie drängt darauf, "die menschlichen und finanziellen Ressourcen zu erhöhen, die tieferen Ursachen von Verbrechen anzugehen und die verheerenden Auswirkungen von Gewalt in den Gesellschaften zu mildern".

Die Karibik hat sich in den vergangenen Jahren noch vor Zentralamerika zur Weltregion mit den höchsten Mordraten entwickelt. Länder wie Jamaika, St. Vincent und die Grenadinen, Trinidad und Tobago, die Bahamas und Belize zählen konstant zu den Ländern der Welt mit den höchsten Mordraten. Der jüngste Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung zeigte auf, dass die Region "in den letzten Jahren den spektakulärsten Anstieg der Mordgewalt erlebt hat, größtenteils aufgrund des intensiven Wettbewerbs zwischen Banden um Drogenmärkte".

Die Karibik ist eine Transitzone zwischen den Anbauländern von Betäubungsmitteln in Mittel- und Südamerika sowie den Abnehmerländern in Nordamerika und Europa.

Expert:innen verweisen auch auf die Bedeutung von Armut und informellem Wirtschaften für die Organisierte Kriminalität. In vielen Ländern der Karibik wird bis zu einem Drittel der Wirtschaftsleistung im informellen Sektor erzeugt. Diese Situation führt dazu, dass ein hoher Prozentsatz der karibischen Bevölkerungen prekäre öffentliche Bedingungen vorfindet und keinen vollen Zugang zu Wohnraum, grundlegenden Energie-, Gesundheits- und Bildungsdiensten sowie zur Justiz hat.

Viele kriminelle Organisationen haben eine eigene Wirtschaft aufgebaut, die Drogenhandel, illegalen Bergbau, Schmuggel oder Menschenhandel umfasst. Dies ermöglicht ihnen Arbeitsplätze zu schaffen und Infrastrukturen aufzubauen, die eine soziale Basis für die kriminellen Operationen schaffen. Durch ihre finanziellen Ressourcen sind die Banden oft besser ausgerüstet als die staatlichen Sicherheitskräfte.

Die Caricom-Staaten verweisen auch auf die Verantwortung der USA für die Gewalt: Sie sind die wichtigste Quelle für illegale Schusswaffen und Munition. Der Premierminister der Bahamas, Philip Davis, hat angeprangert, dass 98,6 Prozent aller illegalen Schusswaffen, die in seinem Land sichergestellt wurden, direkt aus den USA stammen. "Wir haben die US-Regierung und US-Waffenhersteller aufgefordert, mit den Caricom-Mitgliedsstaaten zusammenzuarbeiten", erklärte Davis. Die Bahamas und weitere Karibikstaaten haben sich einer Klage Mexikos gegen US-Waffenhersteller angeschlossen. Die Klägerstaaten fordern zehn Milliarden US-Dollar Entschädigung für die auf ihrem Territorium durch in den USA produzierte Waffen verursachte Schäden.

Der seit über 50 Jahren geführte "Krieg gegen Drogen" müsse als verloren anerkannt werden, fordern Expert:innen. Román David Ortiz Marina, Berater und Professor für lateinamerikanische und europäische Sicherheitsfragen, kritisiert, dass das Phänomen immer noch ausschließlich als eines des "Organisierten Verbrechens" eingestuft wird. Dies unterschlage die sozialen Ursachen und die mittlerweile enormen politischen Auswirkungen, wenn Staaten die Kontrolle über ihre Territorien verlieren.

Die Nationalversammlung der Bahamas hat Anfang April eine Reihe von Gesetzesverschärfungen verabschiedet. Künftig können Aktivitäten für das Organisierte Verbrechen mit Geldstrafen von bis zu 100.000 US-Dollar und bis zu 25 Jahren Haft bestraft werden. Tätowierungen, Körpermarkierungen, Zeichen oder Kleidung können von Gerichten als Nachweis für die Mitgliedschaft in einer Bande ausgelegt werden.

Präsident Philip Davis hat die Verschärfung damit begründet, dass eine Reihe von Morden auf der Insel New Providence von Tätern begangen wurde, die nach der Zahlung einer Kaution trotz schwerer Vergehen auf freiem Fuß waren. Die Bahamas zählten in den vergangenen Jahren stets zu den Ländern der Welt mit der höchsten Mordrate.

In Teilen von Belize ist im März 2024 wegen zunehmender Gewalt der Ausnahmezustand ausgerufen worden. Generalgouverneurin Dame Froyla Tzalam hat ihn wegen Bandenaktivitäten für den Süden der Hauptstadt Belize City und für Teile des Cayo-Distrikts verhängt. In Belize liefern sich vor allem die in den USA gegründeten Banden Bloods und Crips blutige Auseinandersetzungen.

Die Dominikanische Republik selbst zählt zu den sichersten Ländern der Region. Doch die geografische Lage macht das Land zu einem wichtigen Umschlagplatz für Kokain. Eine zentrale Rolle im internationalen Drogenhandel spielt die 1989 von dominikanischen Häftlingen in den USA gegründete Gang "Trinitarios", die heute mehr als 30.000 Mitglieder haben soll. Sie sind in den USA, Spanien und Italien aktiv.

Jamaika wurde im Jahr 2023 vom Karibikstaat Saint Kitts und Nevis als Staat mit der höchsten Mordrate der Welt abgelöst. 2023 betrug die Mordrate 60,9 pro 100.000 Einwohner:innen.

"Jamaika ist kein Land im Krieg, aber unsere Mordrate, unsere Todesfälle durch Gewalt, entspricht Ländern, die im Krieg stehen", erklärte Premierminister Andrew Holness. Im Jahr 2017 zählten jamaikanische Behörden 257 aktive Bandenstrukturen. Sie entstanden in den Armenvierteln der Hauptstadt Kingston und begannen mit Erpressung und dem Verkauf von Drogen. Einige der Banden sind mittlerweile zu mächtigen Organisationen herangewachsen, die mit politischen Parteien über den Austausch von Stimmen bei Wahlen und öffentliche Verträge verhandeln.

Trinidad und Tobago hat in den vergangenen Jahren stets zu den Ländern mit den höchsten Mordraten gezählt. 2022 verzeichnete das Land einen Rekord mit mehr als 600 Morden, fast doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. "Es ist ein Krieg, den wir uns nicht leisten können zu verlieren", betont der Premierminister Keith Rowley. In Trinidad und Tobago wird die Lage durch ethnisch-religiöse Konflikte verschärft. So kämpfen muslimische Banden, wie die "Unruly ISIS", gegen nicht-muslimische, wie die "Rasta City".