Polizei in Chile führt massive Hausdurchsuchungen in Arbeiterviertel durch

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Gemeinschaftsküche im Arbeiterviertel Villa Francia
Gemeinschaftsküche "Luisa Toledo" im Arbeiterviertel Villa Francia, die ebenfalls durchsucht wurde

Santiago. Spezialeinheiten der Polizei haben in fünf Gemeinden von Groß-Santiago mehrere Hausdurchsuchungen durchgeführt. Dabei ging es nach offiziellen Angaben um die Suche nach Waffen und Sprengstoff. Oppositionelle Kreise haben den Einsatz kritisiert.

Um sechs Uhr am Samstagmorgen begannen Razzien im Arbeiterviertel Villa Francia in der Gemeinde Estación Central und weiteren vier Gemeinden. 13 Personen wurden festgenommen. Einige Waffen und Sprengmittel sollen sichergestellt worden sein. Darunter eine Maschinenpistole aus Armeebeständen, eine Tränengasgranate wie sie bei Demonstrationen eingesetzt wird, sowie industrieller Sprengstoff aus der Bergbauindustrie.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft stehen die Durchsuchungen und beschlagnahmten Gegenstände im Zusammenhang mit einem Brandanschlag auf einen Bus des öffentlichen Nahverkehrs in Santiago und nicht näher definierten Anschlägen in der Araucanía, dem Mapuchegebiet Walmapu im Süden Chiles.

Innenministerin Carolina Tohá äußerte vor der Presse ihre Genugtuung: "Eine erfolgreiche Polizeiaktion, zu der wir gratulieren."

Von den Durchsuchungen in der Villa Francia liegen Einzelheiten und Augenzeugenberichte vor. Es wurden nicht nur Wohnungen, sondern auch eine Gemeinschaftsküche und Radio Villa Francia, ein selbstverwalteter Gemeindesender, durchsucht. In der Gemeinschaftsküche wurde erheblicher Schaden angerichtet. Mitarbeiter des Radios sagten aus, dass keine richterlichen Durchsuchungsbefehle vorgelegen hätten.

Die Gemeinschaftsküche trägt den Namen von Luisa Toledo, einer Bewohnerin des Viertels, das während der Diktatur unter Augusto Pinochet ein Zentrum von anhaltendem und militantem Widerstand war. Das Viertel hat seinen Symbolcharakter bis heute erhalten und zeigt dies besonders deutlich am Tag des Jungen Kämpfers (amerika21 berichtete) im Angedenken an die Brüder Eduardo und Rafael Vergara Toledo, die am 29. März 1985 von einer Polizeistreife ermordet wurden. Am 6. Juli, am Tag der Polizeiaktion vor drei Jahren, verstarb ihre Mutter Luisa.

Das Vorgehen der Polizei und das Datum wurden heftig kritisiert. Die Abgeordnete Claudia Mix von der Regierungspartei Frente Amplio schrieb auf X: "Was ist die Entschuldigung dafür, dass gerade heute, am dritten Jahrestag von Luisa Toledos Tod, die Gemeinschaftsküche und der Sender durchsucht werden? Welches Signal wollen wir damit setzen?"

Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei (PCCh), Lautaro Carmona, sagte: "Ich hoffe, dass seitens des Innenministeriums absolute und vollständige Transparenz herrscht, mit mehr Details als bei anderen Gelegenheiten, damit das niemand mit einer Provokation in Verbindung bringt. Eine Polizeiaktion, die in der Öffentlichkeit auf Ablehnung stößt, kann nicht leichtfertig gerechtfertigt werden."

Die PCCh-Abgeordnete Carmen Hertz hat indes einen formellen Antrag zur Aufklärung des Polizeieinsatzes ans Innenministerium gerichtet.

Noch am Samstagabend musste die Staatsanwaltschaft eine herbe Niederlage einstecken: Der Haftrichter erklärte die Verhaftungen in neun Fällen als illegal. Die jungen Leute befanden sich nach einer nächtlichen Geburtstagsfeier zufällig im Gebäude des Radiosenders und es lägen keinerlei Beweise vor, dass sie mit den dort gefundenen Waffen im Zusammenhang stehen.

Eine endgültige Entscheidung steht noch aus, da die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat. Lediglich ein Verdächtiger blieb in Untersuchungshaft.

Der Verteidiger einer der Verdächtigten spricht indes von einer Pseudo-Ermittlung, bei der es darum gehe, junge, kämpferiche Leute zu fassen.