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Celac-EU: Die koloniale Vergangenheit schleicht sich in den Gipfel ein

Sie wiegen schwer, die Jahrhunderte europäischer Kolonialherrschaft, wirtschaftlicher Ausbeutung und Sklaverei

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Gemeinsame Pressekonferenz zum Gipfelabschluss: (v.l.n.r.) Alberto Fernández, Ralph Gonsalves, Charles Michel, Ursula von der Leyen (Screenshot)
Gemeinsame Pressekonferenz zum Gipfelabschluss: (v.l.n.r.) Alberto Fernández, Ralph Gonsalves, Charles Michel, Ursula von der Leyen (Screenshot)

Auf dem Gipfeltreffen der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (Celac) und der Europäischen Union (EU) ‒ dem ersten zwischen den beiden Blöcken mit 60 Ländern und mehr als einer Milliarde Einwohnern seit acht Jahren ‒ waren die Gespenster der Kolonialgeschichte allgegenwärtig.

Die Lateinamerikaner kamen mit einer klaren Botschaft an den Verhandlungstisch: Die Beziehungen heute zu definieren bedeutet, die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit zu thematisieren und zu berichtigen.

"Es ist das erste Mal, dass wir in aller Klarheit über den Extraktivismus sprechen konnten", kommentierte der argentinische Präsident Alberto Fernández nach dem Treffen. Halb im Scherz, halb im Ernst fügte er hinzu: Es hat fünf Jahrhunderte gedauert, bis wir das endlich geschafft haben.

Die Pressekonferenz, auf der lächelnde Vertreter aus Lateinamerika, der Karibik und der EU die Abschlusserklärung vorstellten, die bis zum letzten Moment unmöglich erschien, fand weniger als einen Kilometer von der Statue zum Gedenken an Patrice Lumumba in Brüssel entfernt statt, die sich im sogenannten afrikanischen Viertel der Stadt, Matongé, befindet. Der ehemalige kongolesische Premierminister wurde 1961 auf Befehl der USA ermordet. Die CIA inszenierte mit Unterstützung der alten Kolonialmacht Belgien einen Militärputsch im Kongo. Lumumba wurde gefoltert, zerstückelt und sein Körper in Säure aufgelöst. Ein belgischer Polizist bewahrte einen Zahn des kongolesischen Anführers als Kriegstrophäe auf, den Belgien im vergangenen Jahr in einem Akt der Sühne an Lumumbas Tochter übergab.

Sie wiegen schwer, die Jahrhunderte europäischer Kolonialherrschaft, wirtschaftlicher Ausbeutung und Sklaverei. Es gibt einen europäisch geprägten Common Sense, der darauf besteht, dass die Befreiungskämpfe des 20. Jahrhunderts dem Kolonialismus ein Ende gesetzt haben, aber für die lateinamerikanischen Gäste dieses Gipfels ist das Ende des Kolonialismus nicht nur nicht beendet, sondern setzt sich mit einem anderen Gesicht fort.

Unter Berufung auf die universellen Menschenrechte erscheint der Kolonialismus oft diffus und undeutlich, obwohl die Träume, sich die "Neue Welt" als unendliche Quelle des Reichtums für die europäischen Eliten zu erhalten, so präsent sind wie eh und je. Es ist eine Vorstellung, die immer wieder wie im Rhythmus einer Welle zurückkehrt und sich sogar in die offizielle Rhetorik einschleicht.

Aber Lateinamerika schweigt nicht, und der Austausch von Nachrichten auf Twitter zwischen den Außenministern Kubas und Brüssels nach einem bilateralen Treffen am Rande des Gipfels, das, den Fotos nach zu urteilen, mit Lächeln und herzlichem Händeschütteln verlief, ist ein Beispiel dafür.

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"Die eine so, der andere so": Kubas Außenminister Rodriguez mit seiner belgischen Amtskollegin Lahbib
"Die eine so, der andere so": Kubas Außenminister Rodriguez mit seiner belgischen Amtskollegin Lahbib

Aber nach dem Treffen erklärte die belgische Ministerin Hadja Lahbib in den sozialen Netzwerken, dass sie "unsere Besorgnis über die Menschenrechtslage in Kuba" übermittelt habe. "Wir haben auch über internationale Themen wie das US-Embargo gesprochen". Kubas Bruno Rodríguez entgegnete: "Ich habe die Folgen der verschärften Blockade für Kuba und die Doppelmoral Belgiens bei den Menschenrechten angesprochen". Die eine so, der andere so.

Die Sanktionen gegen die Insel und die Aufnahme des karibischen Landes in die US-Liste der Länder, die den Terrorismus sponsern, sind übrigens einer der Punkte, die von den Vertretern beider Regionen in der Plenarsitzung angenommen wurden.

Für die Gastgeber des Celac-EU-Gipfels war der Krieg in der Ukraine im Hinblick auf die öffentliche Meinung das "Hier und Heute"-Thema. Doch die Lateinamerikaner, die 2014 die Region zur Friedenszone erklärt hatten, weigerten sich, "die Ukraine zu einem Thema in den biregionalen Beziehungen" zu machen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erhielt daher keine Zustimmung zur Teilnahme an dem Gipfel. Dank dieser Tatsache wurde das Treffen davor bewahrt, von der geopolitischen Besessenheit Europas vereinnahmt zu werden und konnte sich auf den politischen Dialog zwischen den beiden Regionen, die Zukunft der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Nationen konzentrieren, die drei Schwerpunkte der Tagesordnung in Brüssel.

Inmitten der intensiven Verhandlungen auf dem Gipfel am 17. und 18. Juli räumte der scheidende niederländische Ministerpräsident Mark Rutte ein, dass die Europäer lernen müssten, mit lateinamerikanischer Verärgerung und Aufsässigkeit umzugehen. "In der Vergangenheit", sagte er, "ist die EU oft nicht ans Telefon gegangen, wenn Länder aus Asien, Afrika oder Lateinamerika anriefen... Dass sie uns das jetzt vor die Füße werfen, ist auch ein Beweis dafür, dass wir als Europa manchmal ein bisschen arrogant handeln", fügte er hinzu.

Vor Jahren hat Eduardo Galeano ohne so viel Flapsigkeit erklärt, was passiert ‒ Entschuldigung an den niederländischen Premierminister ‒ : "Am Anfang wurden Plünderungen und andere Morde im Namen des Gottes der Himmel durchgeführt. Jetzt werden sie im Namen des Gottes des Fortschritts verübt. Doch in dieser verbotenen und verachteten Identität unserer Völker leuchten noch einige Schlüssel für ein anderes mögliches Amerika auf".