Kuba / Wirtschaft / Politik

Parlament in Kuba tagt im Krisenmodus

Debatte über anhaltende Wirtschaftskrise. Reform der Privatwirtschaftsgesetze und neues Staatsbürgerschaftsrecht verabschiedet. Demographische Lage besorgniserregend

cuba_asamblea-nacional-en-su-decima-legislatura.jpg

Plenarsitzung der kubanischen Nationalversammlung in ihrer zehnten Legislaturperiode
Plenarsitzung der kubanischen Nationalversammlung in ihrer zehnten Legislaturperiode

Havanna. Ein dreitägiger Sitzungsmarathon der kubanischen Nationalversammlung ist am Freitag in Havanna zu Ende gegangen. Im Mittelpunkt der Sommertagung stand die anhaltende Wirtschaftskrise. Mehr als 90 Themen wurden diskutiert und sechs neue Gesetze verabschiedet.

Bereits am Montag fanden sich die 469 Delegierten des Einparteienparlaments Havanna ein, um in Arbeitsgruppen zu beraten.

Zu Beginn der Sitzung am Mittwoch berichtete Wirtschaftsminister Joaquín Alonso Vázquez über die Entwicklung der Wirtschaft. Kubas Bruttoinlandsprodukt schrumpfte im vergangenen Jahr um 1,9 Prozent. Der erneute Rückgang nach einer kaum spürbaren Erholung 2022 sei Teil eines "komplexen Szenarios", das von einem hohen Haushaltsdefizit geprägt sei.

"Wir haben nicht ausreichende Deviseneinnahmen, fast keinen Zugang zu externen Krediten und eine schwache Erholung der heimischen Produktion. Gleichzeitig gibt es Einschränkungen bei Brennstoffen und Energie, eine hohe und anhaltende Inflation und eine hohe Auslandsverschuldung", fasste er die aktuelle Lage zusammen. Kubas Premierminister Manuel Marrero sprach erneut vom Szenario einer "Kriegswirtschaft" (economía de guerra).

Die Deviseneinnahmen waren in der ersten Jahreshälfte zwar höher als 2023, blieben aber um 222 Millionen US-Dollar hinter dem Plan zurück. Die Zahl der Touristen erreichte im vergangenen Jahr mit 1,8 Millionen nur 52 Prozent des Niveaus von 2019 und konnte im ersten Halbjahr mit einem Wachstum von knapp zwei Prozent kaum zulegen.

Die Importe waren vergangenes Jahr 42 Prozent geringer als geplant. Die Inflation hat zwar nachgelassen, bewegt sich mit 30 Prozent aber weiterhin auf einem hohen Niveau.

Als "Haupthindernis für die Entwicklung" bezeichnete Vázquez die anhaltende US-Handelsblockade. Diese verursache wirtschaftliche Schäden von mehr als sechs Milliarden US-Dollar pro Jahr und erschwere insbesondere den Zugang zu Krediten, Direktinvestitionen und Exporteinnahmen.

Das Gros der verfügbaren Mittel muss derzeit für den Import von Lebensmitteln und Brennstoffen aufgewendet werden. Deshalb kommt es in anderen Bereichen zu Einsparungen, wichtige Investitionen werden zurückgestellt.

Um die hohen Sozialausgaben möglichst effizient einzusetzen und der wachsenden sozialen Ungleichheit entgegenzuwirken, sollen Subventionen in Zukunft zielgerichteter erfolgen. Wie Marrero ankündigte, laufen derzeit Studien zur Neugestaltung der Preise des staatlichen Bezugshefts "Libreta".

Die Verwaltung soll entschlackt und mehr produktive Arbeitsplätze in staatlichen Unternehmen geschaffen werden. Deren umfassende Restrukturierung im Rahmen eines geplanten Unternehmensgesetzes (Ley de Empresas) wurde von den Abgeordneten ebenfalls diskutiert.

Beschlossen wurden eine Reform der Rahmenbedingungen des Privatsektors und ein neuer Mechanismus der Devisenzuteilung. Marrero kündigte eine Ausweitung der Dollarisierung an. So sollen künftig in bestimmten Bereichen, etwa im Tourismus, Devisen auch in Form von Bargeld akzeptiert werden. Außerden sollen Privatbetriebe künftig Zölle und Hafengebühren in Devisen bezahlen.

"Unsere Vision ist keineswegs die Dollarisierung der Wirtschaft, sondern das Gegenteil", erklärte Marrero, "aber um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir eine teilweise Dollarisierung vornehmen, die es uns ermöglicht, die Deviseneinnahmen zu erhöhen".

Die Fremdwährungskonten im Staatssektor werden "bereinigt". Erste staatliche Exportbetriebe dürfen bereits in einem "geschlossenen Finanzierungssystem" arbeiten. Dieses ermöglicht es ihnen, ihre Deviseneinnahmen autonom zu verwalten.

Auch auf die mittlerweile rund 11.000 kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und 598.270 Selbstständigen des Privatsektors kommen einige Änderungen zu. So soll künftig auf Gemeindeebene über die Zulassung neuer KMU entschieden werden. Den Anfang macht in diesem Monat die Stadt Cienfuegos. Im Laufe des Jahres soll im Rahmen einer Testphase in jeder Provinz mindestens eine Gemeinde eigenständig über die Zulassung neuer Wirtschaftsakteure entscheiden können.

Privatbetriebe müssen in Zukunft die Herkunft ihrer Gelder offenlegen. Wer importieren will, muss zudem nachweisen, dass er keine Steuerschulden hat. Die Bezahlung der Importe darf wiederum ausschließlich über Konten bei kubanischen Banken erfolgen. Der Schritt stieß bei Ökonomen auf Kritik, da derzeit völlig unklar ist, wie die praktische Umsetzung erfolgen soll. Devisen können nicht ohne weiteres von kubanischen Konten an ausländische Partner transferiert werden. Zudem verkauft der Staat derzeit keine Fremdwährung an nichtstaatliche Akteure.

Dauerthema jeder Sitzung ist der Kampf gegen Korruption und Steuerhinterziehung. Dieses Jahr gehen dem Staat schätzungsweise 50 Milliarden Pesos an Steuereinnahmen verloren – rund ein Drittel des aktuellen Haushaltsdefizits.

Das Steuersystem soll professionalisiert werden. Dazu wurden die Kompetenzen der Steuerbehörde ONAT erweitert und diese direkt dem Ministerrat unterstellt.

Nach der Einführung neuer Preisobergrenzen für sechs Basisprodukte Anfang des Monats wurden inzwischen knapp 20.000 Kontrollen durchgeführt, in deren Folge Bußgelder in Höhe von insgesamt 30 Millionen Pesos verhängt wurden.

Angesichts der Kritik an den schärferen Regelungen bezog Präsident Miguel Díaz-Canel Stellung. Er betonte, dass es der Regierung nicht um "eine Hexenjagd gegen private KMU" gehe. Es müsse jedoch "Recht und Ordnung herrschen, wenn alle Wirtschaftsformen erfolgreich und gestärkt werden sollen".

Am Freitag verabschiedeten die Abgeordneten eine Reform des Migrations- und Ausländerrechts sowie ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz. Letzteres ist das erste seiner Art im sozialistischen Kuba. Damit soll die Rechtslage an die 2019 verabschiedete Verfassung und gängige internationale Praktiken angepasst werden.

So können sich Kubaner künftig länger als 24 Monate am Stück im Ausland aufhalten, ohne den Verlust ihres Aufenthaltstitels oder Eigentums fürchten zu müssen. Für Auslandskubaner wird zudem eine neue Kategorie als Investoren und Geschäftsleute eingeführt, womit die Möglichkeit von Direktinvestitionen aus der Exilgemeinde geöffnet wird.

Ausländer können künftig leichter eine permanente Aufenthaltserlaubnis bekommen, zudem steht ihnen die Möglichkeit offen, kubanische Staatsbürger zu werden. Neu ist auch, dass Doppelstaatler erstmals die kubanische Staatsangehörigkeit aufgeben können, sie werden dann in Kuba als Ausländer behandelt.

Wie der Vizepräsident der nationalen Statistikbehörde ONEI, Juan Carlos Alfonso, ausführte, steht Kuba vor enormen demographischen Herausforderungen. Die Bevölkerung des Archipels ist zwischen 2020 und 2023 um 10,1 Prozent geschrumpft, was in absoluten Zahlen einem Rückgang von 1,12 Millionen Menschen entspricht. Als Hauptursache nannte er die Auswanderungswelle. Jedoch sorge die niedrige Geburtenrate bei einer immer stärker alternden Gesellschaft für die langfristige Verstetigung dieses Trends.

Die Abgeordneten verabschiedeten auch ein neues "Gesetz über Transparenz und Zugang zu öffentlichen Informationen" sowie die Neufassung des Systems der Ehrentitel und Orden des Staates. Das neue "Gesetz zur Regelung des Verwaltungsverfahrens" erklärt im Einklang mit der Verfassung die Menschenwürde zur "Grundlage aller Verwaltungsverfahren".