Santiago. Schafik Nazal, ehemaliger Chef des Geheimdienstes, soll Mitarbeiter der Sicherheitskräfte in Chile jahrelang illegal abgehört haben. Auch ein investigativer Journalist sei betroffen.
Die Aktion lief unter dem Codenamen "Topografo" (topo = Maulwurf). Unter Ausnutzung seines Ranges soll Nazal die Anträge unter Angabe von erfundenen Argumenten verfasst haben, die Juan Antonio Poblete, damals Richter am Berufungsgericht von Santiago, ohne weitere Nachprüfung genehmigte.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft stützt sich auf über 700 Dokumente und 90 Zeugenaussagen, mit der sie illegales Abhören von Handys, Spionage und Dokumentenfälschung begründet. Die Tatsache, dass Nazal und Poblete die Aktion unter Ausnutzung ihrer privilegierten Stellung als General und Richter mehrfach wiederholten, wertet die Staatsanwaltschaft als strafverschärfend. Sie beantragte 20 Jahre Haft. Beide Angeklagten befinden sich im Hausarrest, nachdem sie anfänglich eine Zeitlang in Untersuchungshaft saßen.
Das Gesetz erlaubt den Eingriff in privat genutzte Kommunikationsmittel, um Schwerkriminalität zu bekämpfen bzw. den Schutz der nationalen Sicherheit zu garantieren. Letzteres hatte Nazal als Grund angegeben. Obwohl die Namen der Handybenutzer bekannt waren, wurden sie bei den Anträgen entweder geändert oder gleich ganz verschwiegen, damit Richter Poblete keinen Verdacht schöpfen konnte.
Um einem Abhörantrag stattzugeben, muss eine staatsanwaltliche Ermittlung vorliegen oder die Aktion zu einer möglichen Gerichtsverhandlung und Verurteilung des Überwachten führen. Beides war nicht gegeben. Poblete hat sich zusätzlich strafbar gemacht, weil er die Anträge nicht auf dringende Verdachtsmomente oder konkrete, nachweisbare Vergehen geprüft hat, was laut Gesetz zwingend notwendig ist.
Zu dieser Zeit wurden zwei der schwersten Korruptionsfälle in der Geschichte Chiles bekannt und die Justiz begann (amerika21 berichtete), gegen Oberkommandierende von Armee und Polizei zu ermitteln. Volkstümlich wurden die Vorgänge als "Milicogate" im Falle der Armee und als "Pacogate" bei der Polizei bezeichnet. Inzwischen wurden in beiden Fällen hohe Gefängnisstrafen verhängt.
Über den Tellerrand schauen?
Mit Ihrer Spende können wir Ihnen täglich das Geschehen in Lateinamerika näher bringen.
Beide Institutionen verfügen über Sonderhaushalte, über die sie frei verfügen können, ohne Rechenschaft bei Parlament oder Finanzbehörden ablegen zu müssen. So konnten die Generäle über die Jahre Millionen für private Zwecke abzweigen und an subalterne Funktionäre Bestechungsgelder zahlen, um sie zum Schweigen zu verpflichten. Mit den abgezweigten Geldern wurden Häuser, Wohnungen, teure Autos, Reisen, Schmuck usw. finanziert.
Die Staatsanwaltschaft konnte nachweisen, dass der Geheimdienst der Armee Einzelheiten aus dem privaten und intimen Bereich der abgehörten Armeeangehörigen sammeln wollte, um sie, wenn nötig, unter Druck setzen zu können. Die Armeespitze befürchtete, dass sie entweder in dem Fall aussagen oder sich anderweitig wegen dienstlicher Willkür und Misshandlung beklagen könnten.
2017 setzte Nazar die "Operation W" in Gang, um den Enthüllungsjournalisten Mauricio Weibel auszuforschen. Weibel forschte zu dieser Zeit intensiv über "Pacogate". Das Ergebnis seiner Nachforschungen veröffentlichte er 2018 in seinem Buch mit dem Titel "Weder Ordnung noch Vaterland" (Ni Orden Ni Patria). Der Titel des Buches ist an das Motto der Polizei "Ordnung und Vaterland" angelehnt.
Weibel publiziert auf dem Internetportal Ciper Chile und hat bei der Unesco ein Handbuch für investigativen Journalismus veröffentlicht, worin die Gründe für die Abhöraktion liegen dürften. In seinem Antrag auf Abhörung verschwieg Nazar den Namen von Weibel und sprach nur von einem ausländischen Agenten, um auf keinen Fall Zweifel bei Richter Poblete aufkommen zu lassen.
Mauricio Weibel ist Sohn des Kommunisten José Weibel, der 1976 von einem Kommando der Militärdiktatur aus einem öffentlichen Bus entführt, gefoltert und schließlich ermordet wurde. An diesem Tag war er mit seiner Ehefrau María Teresa Barahona Muñoz unterwegs, um seine Söhne Mauricio und Alvaro zur Schule zu bringen.