Ein neuer Faktor der "Weltordnung": Das wachsende Brics-Bündnis

Von den Mainstreammedien weitgehend ignoriert, fand kürzlich der Brics-Gipfel statt. Mehrere neue mögliche Mitglieder waren eingeladen, darunter Argentinien

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Argentiniens Präsident Fernández beim Brics-Plus-Treffen am 24. Juni: "Es ist notwendig eine gerechtere Welt zu schaffen" (Screenshot)
Argentiniens Präsident Fernández beim Brics-Plus-Treffen am 24. Juni: "Es ist notwendig eine gerechtere Welt zu schaffen" (Screenshot)

Mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung und fast ein Viertel des Bruttosozialproduktes der Welt: Das repräsentieren die fünf Brics-Mitgliedsländer, ein Akronym für eine Gruppe von aufstrebenden Märkten, bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Sie kamen am 23. und 24. Juni in Beijing zu einem Gipfeltreffen unter dem Motto "Hochrangiger Dialog über die globale Entwicklung" zusammen.

In diesem Jahr verzeichnete der Handel zwischen China und den anderen Ländern der 2009 gegründeten Gruppe einen Anstieg von 12,1 Prozent gegenüber 2021. Das Handelsvolumen wachse, hieß es auf der Eröffnungssitzung, auf der Basis einer komplementären Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen wie Gesundheit, Umwelt, Wissenschaft und Technologie, Landwirtschaft, Ausbildung, Kleinst-, Klein- und Mittelunternehmen.

Ein Lager, das sich noch weiter ausdehnen wird, denn China, das derzeit den Vorsitz innehat, arbeitet an einer Plattform, an der die aufstrebenden Ökonomien und die großen sich entwickelnden Länder beteiligt sind ‒ als Alternative zum westlichen Block unter Führung der USA und im Sinne der Zusammenarbeit in Handel und Wirtschaft. Einige dieser Länder wie Kasachstan, Saudi-Arabien, Argentinien, Iran, Ägypten, Indonesien, Nigeria, Senegal, die Vereinigten Arabischen Emirate, Algerien und Thailand wurden als mögliche neue Mitglieder zum Gipfel eingeladen und nahmen am Brics Plus-Treffen teil.

Der wichtigste Beitritt wird der von Argentinien sein. Das Land sucht Unterstützung, um sich von der Erpressung durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu befreien und die Hindernisse beim Zugang zu internationalen Krediten zu überwinden. Die Brics werden dann zu Bricsa. In der Zwischenzeit kann Buenos Aires sich der Neuen Brics-Entwicklungsbank (New Development Bank, NDB) anschließen, die für die Vergabe von Darlehen keine Mitgliedschaft in der Allianz erforderlich macht. Diese Möglichkeit wird bereits von Ländern wie Uruguay, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bangladesch genutzt. Die NDB hat ihren Sitz in Beijing und wurde 2014 gegründet.

Seitdem hat sie bereits mehr als 80 Projekte zum Bau von Infrastrukturen in aller Welt genehmigt. Dabei handelt es sich um Finanzierungen, die Beijing nicht von einem Politikwechsel abhängig macht, wie es für internationale Organisationen unter US-Führung typisch ist.

Vor zwei Jahren trat Argentinien der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) bei, einer 2015 auf Initiative Chinas gegründeten Entwicklungsbank. Eines der ursprünglichen Ziele der AIIB ist die Unterstützung des Baus von Infrastruktur im Rahmen der chinesischen "Belt and Road Initiative", der sich auch Argentinien in diesem Jahr bei einem Besuch von Präsident Alberto Fernández in Beijing offiziell angeschlossen hat.

In Argentinien haben sich die Aussichten hinsichtlich der Inflation, die zu den höchsten auf dem Kontinent gehört, noch weiter von der Spanne von 38-48 Prozent für 2022 und 34-42 Prozent für 2023 entfernt, die in der mit dem IWF getroffenen Vereinbarung zur Refinanzierung der Schulden eingeplant waren, welche die Möglichkeit vorsah, dieses Szenario im Lichte neuer Schocks in der Weltwirtschaft zu revidieren. Und auch in diesem Jahr wird das Wachstum um mindestens 0,2 Prozentpunkte hinter der Prognose zurückbleiben.

Fernández sagte, dass die Brics für Argentinien "eine hervorragende kooperative Alternative zu einer Weltordnung darstellen, die zum Nutzen einiger weniger funktioniert".

Argentinien hat derzeit auch den temporären Vorsitz der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Celac) inne. Aus diesem Grund wurde Fernández auch nach Deutschland eingeladen, um am G7-Gipfel teilzunehmen, dem Deutschland, Großbritannien, Japan, Frankreich, Spanien, Italien und die USA angehören. Beim G7 war Argentinien zusammen mit Indien, Indonesien, Südafrika, Senegal und der Ukraine eingeladen. Mit ihnen organisierte der G7 eine Sitzung, die der globalen Ernährungssicherheit und der Gleichstellung der Geschlechter gewidmet war.

Trotz der Meinungsverschiedenheiten über den Mercosur, eine Thematik, die weiterhin auf der Tagesordnung steht, will die Europäische Union "den politischen Dialog mit Argentinien beschleunigen" und für Ende Oktober ein Treffen zwischen der Celac und europäischen Vertretern vorbereiten. Vorher wird Fernández am 21. Juli an dem Treffen der Mercosur-Länder teilnehmen und hat ein bilaterales Treffen mit US-Präsident Joe Biden geplant.

Der Direktor des Europäischen Auswärtigen Dienstes für die Amerikas, der Spanier Javier Niño Pérez, lobte zwar die argentinische Menschenrechtspolitik, machte aber zugleich keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen Kuba und Venezuela. Dennoch zeigte er sich offen für den argentinischen Vorschlag eines "inklusiven" Treffens beider Blöcke, an dem auch Kuba und Venezuela teilnehmen. "Dies ist die am besten mit dem Euro kompatible Region, die wir kennen. Im Energiebereich hat Lateinamerika zum ersten Mal die Möglichkeit, als strategischer Partner angesehen zu werden", sagte Niño Pérez.

Angesichts der durch den Ukraine-Konflikt hervorgerufenen Energiekrise steht die EU vor der Versuchung einer außergewöhnliche Gasreserve, der argentinischen Ölschiefer-Lagerstätte Vaca Muerta. Im Gegenzug bietet sie Buenos Aires Investitionen in die Infrastruktur für den Bau einer Gaspipeline an, der jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. In der Zwischenzeit suchen die G7-Länder sowohl innerhalb als auch außerhalb des westlichen Lagers nach kurzfristigen Lösungen.

Der G7-Gipfel, der dem Nato-Gipfel vom 29. und 30. Juni in Madrid vorausging, diente dazu, mit der Geschlossenheit des westlichen Lagers in Bezug auf die Verteidigung der Ukraine zu prahlen und neue Sanktionen gegen Russland vorzuschlagen: ein Stopp der Goldeinfuhren in die G7-Länder, der zweitgrößten Einkommensquelle aus Russlands Exportgütern, und die Möglichkeit, auch Moskaus Ölindustrie zu treffen.

Dagegen war das Thema des Multilateralismus als Alternative zu einer vom US-Imperialismus hegemonisierten Weltordnung in allen Ansprachen beim Brics-Gipfel präsent.

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Die Brics-Staatschefs kamen am 23. und 24. Juni in Beijing zu einem Gipfeltreffen zusammen
Die Brics-Staatschefs kamen am 23. und 24. Juni in Beijing zu einem Gipfeltreffen zusammen

"Wir alle teilen eine gemeinsame Geschichte des Kampfes gegen Imperialismus, Kolonialismus, Ausbeutung und Unterentwicklung", sagte etwa der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa, "und wir alle teilen den Wunsch nach einer stärkeren Vertretung und Aussichten auf Fortschritte in den Institutionen der globalen Regierungsführung."

Die Brics-Gruppe lehnte es ab, sich den von den USA und ihren Verbündeten gegen Russland verhängten einseitigen Zwangsmaßnahmen anzuschließen. China, Indien und Südafrika enthielten sich bei der UN-Resolution, die Moskau wegen des Konflikts in der Ukraine verurteilt. Das einzige Land, das dies nicht tat, war [Präsident Jair] Bolsonaros Brasilien, das jedoch während des Gipfels "neutral" blieb. Beijing und Neu-Delhi unterhalten enge militärische und energiewirtschaftliche Beziehungen zu Moskau und sind daran interessiert, Öl und Rohstoffe zu einem vergünstigten Preis zu erwerben und auch Südafrika hat enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland.

Trotz der territorialen Spannungen zwischen China und Indien (das zusammen mit den USA, Japan und Australien der Quad-Allianz1 angehört) schreitet das Projekt einer Währungsalternative zur Dollar-Hegemonie voran.

Und selbst der widersprüchliche Bolsonaro erklärte, dass "Brasilien nicht die Absicht hat, sich abzuschotten und dass eine stärkere wirtschaftliche Integration gebraucht wird".

In seiner Rede auf dem Brics Business Forum sagte der russische Präsident Wladimir Putin, dass die Schaffung einer gemeinsamen Währung, die für staatliche Reserven verwendet werden soll, derzeit geprüft wird.

Dies wäre eine Brics-Rechnungswährung, die ein zum US-Bankensystem paralleles, von Swift völlig entkoppeltes Zahlungssystem schaffen würde und das in der Lage wäre, Transaktionen zwischen sanktionierten Ländern zu erleichtern und auch die Dreiecksgeschäfte mit westlichen Waren durch einfache und wettbewerbsfähige Kosten zu ermöglichen. Putin prangerte erneut die einseitigen Zwangsmaßnahmen an, denn "sie ignorieren die Grundprinzipien der Marktwirtschaft und die Unverletzlichkeit des Privateigentums", sagte er.

Auch sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping bezeichnete Sanktionen als "willkürlich". Er hob die Auswirkungen auf die sich entwickelnden Länder hervor und ermahnte die "großen entwickelten Länder" zu einer "verantwortungsvollen" Wirtschaftspolitik. Die Fakten, fügte Xi hinzu, "haben wiederholt gezeigt, dass Sanktionen ein Bumerang und ein zweischneidiges Schwert sind. Diejenigen, die die Weltwirtschaft politisieren, ausbeuten und bewaffnen, nutzen die Vorherrschaft des internationalen Finanz- und Währungssystems aus, um willkürliche Sanktionen zu verhängen, die letztlich anderen und der ganzen Welt schaden".

Für den chinesischen Präsidenten bringt die Ausweitung der Militärbündnisse vielfältige Risiken und "unweigerlich ein Sicherheitsdilemma" mit sich. Das Ergebnis werde lediglich eine Zunahme der weltweiten Instabilität aufgrund des "Strebens nach eigener Sicherheit auf Kosten anderer Länder" sein.

Die Krise in der Ukraine sollte Xi zufolge als "Weckruf" verstanden werden, ebenso wie die Nato-Erweiterung durch Schweden und Finnland, die immer engeren Beziehungen des Atlantischen Bündnisses zu Japan und Südkorea und die US-Manöver im indo-pazifischen Raum (von Aukus- und Quad-Allianz2, bis hin zu Waffenverkäufen an Taiwan), die offensichtlich gegen China gerichtet sind.

"Die Geschichte lehrt uns", erinnert Xi Jinping, "dass es nur dann Hoffnung auf Frieden geben kann, wenn sich alle an die schmerzhaften Lektionen des Krieges erinnern". Dagegen würden Impulse in Richtung "Hegemonismus" und einer "Politik der gegnerischen Blöcke" nur "Kriege und Konflikte" hervorrufen.

Seit einiger Zeit, so analysiert der chinesische Präsident, ist die kapitalistische Globalisierung mit "Gegenwinden konfrontiert. Einige Länder wollen sich zurückziehen, sie wollen die Lieferketten unterbrechen, um einen kleinen Hof mit hohen Mauern zu errichten." Die wirtschaftliche Globalisierung sei dagegen "eine objektive Notwendigkeit für die Entwicklung der Produktivkräfte und eine unaufhaltsame historische Entwicklung". Sich zurückziehen "und versuchen, anderen den Weg zu versperren, würde damit enden, sich selbst den Weg zu versperren" und die Weltwirtschaft in "isolierte Regionen" aufzuteilen.

China seinerseits werde, so versicherte der Präsident, die Anpassungen der Makropolitik intensivieren, wirksamere Maßnahmen ergreifen, sich um die Erreichung der jährlichen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsziele bemühen und die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie minimieren. Der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei, den er für die zweite Jahreshälfte ankündigte, "wird ein neues Entwicklungsprojekt definieren, das auf neuen Konzepten und einem neuen System einer offenen Wirtschaft auf höherem Niveau beruht und weiterhin ein unternehmerisches Umfeld schaffen wird", das international, auf den Markt und auf den Rechtsstaat ausgerichtet sei.

Xi sicherte seinem russischen Amtskollegen die Unterstützung Beijings für Moskaus fundamentale Interessen in Bezug auf "Souveränität und Sicherheit" zu. Dies veranlasste Washington zu der Replik, dass China Gefahr laufe, "auf der falschen Seite der Geschichte" zu landen. Die "richtige" Seite sei die, die Washington den Verbündeten auf dem Nato-Gipfel vorschlage, nämlich den Aktionsradius auf andere Szenarien auszudehnen, einschließlich der arktischen Region, deren Gletscheroberfläche allmählich schrumpft und damit die Aussicht auf eine Befahrbarkeit ihrer Routen bietet.

Die Schifffahrt durch die Arktis, die 75 Prozent der Weltbevölkerung miteinander verbinden und die obligatorischen globalen Handelswege umgehen würde, brächte Veränderungen mit sich, die das allgemeine Gleichgewicht beeinträchtigen könnten: sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch in Bezug auf die potenzielle Ausbeutung strategischer Reserven, die sich in diesem Gebiet befinden (insbesondere seltene Erden, die für die Entwicklung neuer Technologien wertvoll sind); und sowohl im Hinblick auf Ernährung (Fischerei) als auch auf militärische Aspekte.

Es gibt acht Nationen, die territoriale Rechte in der Arktis haben und Mitglieder des Arktischen Rates sind: Kanada, Dänemark (in Vertretung Grönlands), Finnland, Island, Norwegen, Schweden, die USA ‒ und Russland, als einziges Land außerhalb des Einflussbereiches der USA. Im Jahr 2013 wurde China der Beobachterstatus zuerkannt. Die Mehrheit dieser Länder gehört der Nato an, der nun auch Schweden und Finnland beitreten, und haben bereits gemeinsame Operationen organisiert.

Auch in diesem strategischen Gebiet wächst mit der Einkreisung Russlands die Aussicht auf einen Konflikt von globalem Ausmaß. In den letzten drei Monaten hat der US-Kongress 54 Milliarden US-Dollar an ziviler und militärischer Hilfe für Kiew bewilligt ‒ das sind mehr als 80 Prozent des gesamten russischen Verteidigungshaushalts ‒ und zeigt damit seine Absicht, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen: Auf dieser Grundlage ein neues strategisches Konzept für die Weltherrschaft durchzusetzen. Aus diesem Grund wurde der Gegengipfel, der von verschiedenen popularen Organisationen und Plattformen in Madrid unter dem Motto abgehalten: Keine Nato mehr. Militärstützpunkte raus.

  • 1. Quad (Quadrilateral Security Dialogue) ist ein militärpolitischer Zusammenschluss von USA, Australien, Indien und Japan, der das Ziel verfolge, einen "freien und offenen Indopazifik zu gewährleisten". China befürchtet, dass Quad zu einer regionalen Allianz nach Vorbild der Nato führen könne
  • 2. Aukus ist ein Militärbündnis, das im September 2021 zwischen Australien, Großbritannien und USA geschlossen wurde und sich nach übereinstimmender Einschätzung von Beobachtern vor allem gegen den wachsenden Einfluss Chinas in der Indopazifikregion richte