Bolivien / Politik

Bolivien: Kein Erdrutsch-Sieg bei Richterwahl

In Bolivien steht mehr als eine Woche nach der Richterwahl die Stimmauszählung vor dem offiziellen Abschluss

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Ungültiger Wahlzettel der Richterwahlen in Bolivien
Ungültiger Wahlzettel der Richterwahlen in Bolivien mit Beschimpfungen gegen Präsident Morales und Vizepräsident Linera

La Paz. Die Endergebnisse der Richterwahlen in Bolivien vom Sonntag vor einer Woche stehen kurz vor ihrer offiziellen Bekanntgabe. Am Montag teilte

das Oberste Wahlgericht (TSE) die Auszählung von 99 Prozent der Stimmzettel mit. Die Zahlen, die auf der Internet-Seite des Wahlgerichts fortlaufend aktualisiert werden, weisen auf ein Unentschieden zwischen gültigen und ungültigen Stimmzetteln hin. 

Medien hatten am Wahlabend vorschnell andere Zahlen verbreitet. Bei nur drei Prozent ausgezählter Stimmen vermeldete der TV-Sender ATB, 40 Prozent gültige Stimmen stünden 60 Prozent ungültige gegenüber. Die Bevölkerung hätte der Morales-Regierung damit eine klare Absage erteilt, so die voreilige Interpretation. 

Für die Wahl der obersten Richter des Verfassungsgerichtes ergaben die jüngsten Resultate 42,2 Prozent gültiger Stimmen, 43,9 Prozent warfen einen leeren Stimmzettel in die Wahlurne. Beim Obersten Verwaltungsgericht war das Verhältnis 42 zu 42,1 Prozent, beim Agrar- und Umweltgericht 42,4 zu 42,5 Prozent. Unabhängige Beobachter internationaler Organisationen bezeichneten die Wahl als frei und fair.

Über fünf Millionen Wahlberechtigte waren am 16. Oktober erstmals in der modernen Geschichte der Demokratie dazu aufgerufen, ihr oberstes Justiz-Personal direkt an der Wahlurne zu bestimmen. Die Bürger des Andenlandes konnten dabei zwischen 116 Kandidaten auswählen. Diese waren wie in der neuen Verfassung von 2009 vorgesehen im Parlament vorausgewählt worden, wo die Regierung der "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) eine Zweidrittel-Mehrheit inne hat.

Die Opposition hatte diese Vorauswahl als undemokratisch kritisiert und zur ungültigen Stimmzettelabgabe aufgerufen. In den traditionellen Oppositions-Departamentos Tarija, Santa Cruz, Beni und Pando lehnte eine deutliche Mehrheit die Richterwahl ab, die zu einer Abstimmung gegen die amtierende Linksregierung umfunktioniert wurde. Besonders kreative Freunde der Demokratie nutzten die Abstimmung, um den politischen Gegner zu beleidigen und beschrieben die Stimmzettel mit rassistischen Anti-Morales-Parolen und homophoben Beleidigungen gegen Vize-Präsident Álvaro García Linera.

Die 116 Kandidaten durften weder einer Partei angehören noch in der Vergangenheit politische Ämter inne gehabt haben. Die Richter und Richterinnen können per Abwahlverfahren jederzeit ihrer Ämter enthoben werden. Über die Hälfte der Gewählten sind Frauen.

Die direkte Wahl von Richtern in Bolivien stellt weltweit ein eizigartiges demokratisches Experiment dar. Bei einer Wahlbeteiligung von über 80 Prozent haben mehr als 1,7 Millionen Bolivianer dem neuen Justiz-Personal ihre Stimme und damit Legitimität verliehen. TSE-Sprecher Ramiro Paredes wies deshalb die Behauptung einer niedrigen Wahlbeteiligung zurück. Zudem hätten sich auch die Null-Stimmen Wähler als informierte Bürger gezeigt. Die verbliebene Stimmenanzahl von Wählern, die den Wahlzettel ohne Votum blanko abgegeben habe, sei fehlenden Informationen über die Kandidaten oder dem schwer verständlichen Wahlprozess geschuldet, so der TSE-Sprecher. 

In den letzen Jahren war die Wahlbeteiligung in Bolivien sukzessive gestiegen. Nahmen 1993 trotz Wahlpflicht 72 Prozent ihre demokratischen Rechte wahr und gingen 2002 noch nur 71 Prozent zur Wahl, waren es 2005 bereits 84 Prozent und im Rekord-Jahr 2009 sage und schreibe 95 Prozent der im Wahlregister Eingetragenen. Wegen ihrer Einzigartigkeit sei die Richterwahl jedoch nicht mit vorherigen Abstimmungen zu vergleichen, wird Paredes in der Tageszeitung Cambio zitiert.