Gegen massive Proteste: Parlament in Argentinien segnet Mileis "Ley Bases" ab

Zehntausende demonstrieren erneut vor dem Kongressgebäude. Abgeordnetenkammer stimmt mit 147 zu 100 Stimmen dem "Ermächtigungsgesetz" zu

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Bei den Protesten in Argentinein am Donnerstag: "Mit dem Ley bases wird die Demokratie beerdigt"
Bei den Protesten in Argentinein am Donnerstag: "Mit dem Ley bases wird die Demokratie beerdigt"

Buenos Aires. Mit der Zustimmung der Abgeordnetenkammer hat die Regierung von Javier Milei nach sechs Monaten das umstrittene "Gesetz der Grundlagen und Ausgangspunkte für die Freiheit der Argentinier" (kurz "Ley Bases") genannt, durchbekommen.

Hinter dem Namen verbirgt sich ein kompliziertes Konstrukt, das laut Kritikern einer verdeckten Verfassungsreform gleichkommt und dem Präsidenten weitgehende Befugnisse erteilt. Es erinnert in einigen Passagen an das deutsche Ermächtigungsgesetz von 1933.

Die erste Fassung aus dem Januar war wesentlich umfangreicher und betraf ca. 600 Gesetze und Verordnungen, die abgeschafft oder modifiziert werden sollten. Nach Monaten der Verhandlung verbleibt davon nun ungefähr die Hälfte. Von den zahlreichen Staatsunternehmen und Instituten, die privatisiert oder aufgelöst werden sollten, wurden nach Verhandlungen mit der "freundlichen Opposition" einige herausgenommen, etwa die staatliche Fluglinie Aerolineas Argentinas oder das staatliche Kommunikationsnetzwerk RTA.

Verfassungsrechtler haben bereits erklärt, dass das Werk nicht verfassungskonform sei. Diese verbiete dem Parlament, dem Präsidenten Befugnisse abzutreten, außer unter sehr bestimmten Bedingungen. Eine Generalvollmacht, wie sie hier erteilt wird, gilt als Hochverrat und ist auch im Strafgesetzbuch so aufgeführt.

Der Abgeordnete Sergio Palazzo (Union por la Patria) wies in der Debatte darauf hin, dass der Inhalt der Abstimmung illegal sei. Bereits im Mai reichten Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel und weitere Persönlichkeiten eine Strafanzeige deswegen ein.

In dem hin und her zwischen den beiden Kammern wurden auch nicht abgestimmte Änderungen und sogar Artikel, die nur von einer Kammer bestätigt wurden, eingefügt. Auch dies ist unzulässig.

Ebenso gibt es Vorwürfe der Erpressung und Korruption. Die Gouverneure sollen durch Streichung oder Freigabe von Steuergeldern "motiviert" worden sein, ihre jeweiligen Abgeordneten gefügig zu machen. Im Senat hat die Opposition eine knappe Mehrheit. Senatorin Lucia Crexell von einer Regionalpartei aus Rio Negro wechselte jedoch ihre Stimme und wurde zur neuen Botschafterin bei der Unesco in Paris ernannt. Gegen sie wurde eine Anzeige wegen Stimmenverkauf eingereicht.

Auch Senatoren aus Corrientes erhielten hochdotierte Posten in der Internationalen Kontrollkommission für das Kraftwerk Salto Grande. So erzielte man einen Gleichstand, der durch Vizepräsidentin Victoria Villarruel aufgehoben wurde, die nur in solchen Fällen ihre Stimme einsetzen darf.

In der Abgeordnetenkammer hatte die Regierung dagegen eine Mehrheit von 147 zu 100 ‒ dank der Partei von Ex-Präsident Mauricio Macri, Propuesta Republicana und der Union Cívica Radical. Letztere sprach sich zwar größtenteils gegen das Gesetz aus, stimmte dann aber doch zu.

In Bezug auf das Arbeitsrecht ist das Werk regressiv. Es schränkt Arbeitnehmerrechte ein, was sowohl gegen das Grundgesetz wie auch gegen internationale Verträge verstößt. Es schafft de facto das Streikrecht ab, indem es Streik als Grund für Entlassungen aufnimmt. Die Kriminalisierung von Arbeitskampfmaßnahmen wurde jedoch in letzter Minute gestrichen.

Besonders umstritten ist der Teil des Gesetzes, der Großinvestoren anlocken soll. Dazu werden enorm großzügige Bedingungen gewährt. Firmen, die in den Abbau von Ressourcen investieren würden, müssten keine Devisen aus den Gewinnen in das Land bringen. Sie könnten außerdem ihren gesamten Bedarf steuerfrei importieren, zahlten keine Mehrwertsteuer und in den ersten Jahren keine Ausfuhrzölle und nur minimale Steuern auf die Gewinne.

Sie bekämen Vorrang gegenüber der Bevölkerung bei der Nutzung von Wasser und Strom und sogar eine besondere Sicherheitseinheit zu ihrem Schutz. Dieses erinnert an die Bedingungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als große ausländische Firmen wie La Forestal den Norden des Landes abholzten, Arbeiter wie Sklaven hielten und die staatlichen Kräfte jeden Arbeitskampf blutig erstickten.

In der Theorie sollen dadurch Arbeitsplätze entstehen und ein Aufschwung kommen. Der Ökonom Emanuel Alvarez Agis wies jedoch darauf hin, das nur zwei Länder vergleichbare Gesetze haben: Angola und Nigeria, und in keinem hätte das etwas positives gebracht.

Während der Abstimmung fanden erneut Demonstrationen statt, aufgerufen hatten die Gewerkschaften. Die Regierung konterte mit einem großen Polizeiaufgebot, es blieb dieses Mal jedoch friedlich. Bei den Protesten am 12. Juni waren noch 33 Demonstranten festgenommen und zum Teil misshandelt worden. Sechs Personen befinden sich weiter in Haft.

Die Feier der Regierung war trotz des Erfolges erstaunlich verhalten und die "Märkte" reagierten negativ. Die Aktien argentinischer Firmen in New York fallen seit Tagen, ebenso wie argentinische Bonds.

Das liegt an der katastrophalen Wirtschaftssituation: Der Aufschwung bleibt aus, die Steuereinnahmen sind durch die selbst verursachte Rezession eingebrochen und der angebliche Haushaltsüberschuss wird nur durch die Aussetzung der Schulden mit den Energieversorgen aufrecht erhalten. Diese wollen sich allerdings nicht mit langfristigen Bonds abspeisen lassen und bauen zunehmend Druck auf.

Finanzminister Luis Caputo fehlen die Devisen für die Bedienung des IWF-Darlehens, das er selber unter Macri mit arrangiert hatte. Der IWF schickt keine neuen Hilfen und die Agrarexporteure liquidieren seit Monaten nicht die Ernte, weil sie auf eine neue Devaluation des Peso setzen. Die Regierung kann jedoch nicht abwerten, da somit die mühsam unterdrückte Inflation wohl wieder Fahrt aufnehmen würde.