Zentralbank von Brasilien senkt nach drei Jahren erstmals wieder den Leitzins

Senkung wird mit "positiver Entwicklung der Inflation" begründet. Lula hatte dies seit langem gefordert, um Investitionen und Binnenkonsum anzukurbeln

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Leitzins wird gesenkt
Nach drei Jahren senkt die Zentralbank in Brasilien erstmals wieder den Leitzins

Brasília. Das Komitee für Währungspolitik (Comité de Política Monetária, Copom), ein Lenkungsorgan der brasilianischen Zentralbank (BCB), hat den Leitzins Selic um einen halben Prozentpunkt auf 13,25 Prozent gesenkt.

Der Selic wird vom Copom alle 45 Tage festgelegt und definiert den Zinssatz, mit dem Banken bei der BCB Geld aufnehmen oder anlegen können, wodurch er alle (etwas höheren) Kredit- und Verbraucherzinsen bestimmt.

Eine deutliche Zinssenkung wurde seit Monaten von sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Unternehmer:innen sowie weiten Teilen der Regierung gefordert. Besonders Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte den BCB-Präsidenten Roberto Campos Neto wiederholt angegriffen (amerika21 berichtete) und niedrigere Zinsen zur Ankurbelung von Investitionen und Binnenkonsum gefordert.

Lohnerhöhungen und Konsummöglichkeiten waren zwei zentrale Wahlversprechen, mit denen Lula Teile der Arbeiter- und Mittelschicht gewann und die Wirtschaft in Schwung bringen  wollte. Das hohe Zinsniveau stand diesen Zielen konträr gegenüber, nicht nur nach Meinung des Präsidenten. Lula sprach von einer "Schande". Brasilien müsse "wieder wachsen", für den hohen Leitzins gebe es keine Rechtfertigung. Denn nach Meinung der Exekutive und vieler Ökonomen können nur niedrigere Zinsen einen breiten Binnenkonsum, weitere Produktivkräfte und das Wirtschaftswachstum fördern und zugleich eine langsame Umverteilung initiieren.

Die nach drei Jahren erstmalige Senkung wurde vom Copom mit einer "positiven Entwicklung der Inflation" begründet. Nachdem diese im Kalenderjahr 2022 rund 5,8 Prozent betrug, wurden für die vergangenen zwölf Monate nun 3,16 Prozent errechnet. Während einige Copom-Mitglieder auch für eine geringere Senkung um 0,25 Prozent plädiert hatten, weckt das offizielle Kommuniqué nun Hoffnung auf einen "neuen währungspolitischen Zyklus" mit weiteren Zinssenkungen.

Es war die erste Sitzung des neunköpfigen Gremiums, an dem auch zwei jüngst auf Vorschlag der Regierung ernannte Zentralbank-Direktoren teilnahmen. Die meisten Copom-Mitglieder wie auch BCB-Präsident Campos Neto kamen hingegen auf Vorschlag von Ex-Präsident Jair Bolsonaro ins Amt.

Ebenso wurde Anfang 2021 auf Initiative von Bolsonaro die politische Autonomie der Zentralbank beschlossen. Der BCB-Präsident wird seitdem vom Senat gewählt und nicht wie zuvor vom Staatspräsidenten ernannt. Staats- und BCB-Präsident haben nun unterschiedliche, um zwei Jahre überlappende Amtszeiten.

Damit beschnitt sich das Land eines wesentlichen Instruments der Wirtschafts- und Arbeitsmarktförderung, indem die Regierung die Höhe des Leitzinses mitbestimmen und damit die Preisentwicklung, das Wirtschaftswachstum und die Inflation des Landes beeinflussen konnte.

Während viele in der regierenden Arbeiterpartei PT die Trennung aufrgund der damit verbundenen Macht der Finanzmärkte ablehnen, argumentieren die Befürworter:innen einer "Autonomie", dass diese die Währungsstabilität und das Vertrauen der Investor:innen steigere.

Viele Beobachter:innen sehen die Zinssenkung aber nicht nur als Ergebnis der makroökonomischen Stabilität. Nach Meinung des Ökonomen José Luis Oreiro von der Universität Brasília "ist sie auch Ergebnis des gesellschaftlichen Drucks, der von Präsident Lula erhöht wurde, indem er das Leitzinsthema auf die politische Agenda setzte. Und wir sehen, dass er Recht hatte."

Brasilien ist weiterhin eines der Länder mit dem weltweit höchsten Realzins (Zinssatz abzüglich Inflationsrate). Banken mit Staatsbeteiligung haben die Leitzinssenkung aber bereits zum Anlass genommen, ihre Zinssätze für Kurzdarlehen und Konsumkredite zu reduzieren. Die Caixa Econômica und die Banco do Brasil haben ihre Monatszinsen für Privatkunden um 0,4 bzw. 0,6 Prozentpunkte gesenkt.

Die öffentliche Hand profitiert auch von der Zinssenkung, indem sie nun für die Kreditaufnahme zur Schuldenbegleichung weniger Zinsen zahlen muss. Nach BCB-Angaben verändert jeder Prozentpunkt der Selic-Rate den öffentlichen Schuldenstand um rund 42,6 Milliarden Reais (rund 7,8 Milliarden Euro). Das ist fast so viel wie die gut 40 Milliarden Reais, die der öffentliche Sektor – Bundes- und Landesregierungen sowie Kommunen – allein im Juni 2023 an Schuldendienst leisten musste.