Regierung von Argentinien bringt "Ermächtigungsgesetz" durch den Senat

Massive Proteste vor dem Kongressgebäude. Sicherheitskräfte setzen Tränengas, Gummigeschosse und Wasserwerfer ein. Mehr als hundert Verletzte

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Die Sicherheitskräfte antworteten mit massiver Gewalt auf die Proteste vor dem Kongressgebäude
Die Sicherheitskräfte antworteten mit massiver Gewalt auf die Proteste vor dem Kongressgebäude

Buenos Aires. Der argentinische Senat hat ein von der Regierung des rechtsradikalen Präsidenten Javier Milei vorgelegtes "Ermächtigungsgesetz" beschlossen. Nach zweimaligem Gleichstand von Pro- und Kontrastimmen hob schließlich die Stimme der Vizepräsidentin Victoria Villarruel in ihrer Parallelfunktion als Senatsvorsitzende das Patt auf.

Das Gesetz mit dem sperrigen Titel "Grundlagen und Ausgangspunkte für die Freiheit der Argentinier", auch "Ley Bases" genannt, greift in verschiedenste Politikbereiche ein, um den Staat neoliberal umzubauen. In einem Interview hatte sich Milei kürzlich als "Maulwurf" bezeichnet, dessen "Mission die Zerstörung des Staates von innen her" sei.

Das früher auch als "Ley Omnibus" bezeichnete Gesetzesvorhaben ist neben dem präsidialen Not- und Eildekret, dessen gesetzlich vorgeschriebene Behandlung durch den Nationalkongress nach wie vor aussteht, eines der zwei zentralen politischen Projekte der Regierung. Ursprünglich hätte es 664 Artikel umfassen sollen. Diese wurden nach Verhandlungen mit der regierungsfreundlichen Opposition zunächst auf 382 reduziert. Nun wurden weitere Änderungen und Einschränkungen beschlossen. Nach der Verabschiedung im Senat wandert das Gesetzesprojekt zurück in die Abgeordnetenkammer, die die Änderungen annehmen oder ablehnen, jedoch keine weiteren Ergänzungen vornehmen kann.

Der Kern des Gesetzes ist die Ausrufung des Notstands in den Politikbereichen Verwaltung, Wirtschaft, Finanzen und Energie für die Dauer eines Jahres. Der Präsident erhält dadurch Sonderbefugnisse, die ihm Eingriffe in das Staatswesen ohne vorherige Behandlung im Kongress erlauben. Eingriffe in die Nationale Atomenergiebehörde und die Auflösung von Kultureinrichtungen bleiben vom Durchgriffsrecht ausgeschlossen. Von den Staatsbetrieben, die zur Privatisierung freigegeben werden sollen, wurden in letzter Minute die nationale Fluglinie Aerolíneas Argentinas, das staatliche Rundfunkunternehmen RTA und die argentinische Post ausgenommen. Milei kündigte aber bereits an, diese Privatisierungen auf anderem Wege durchzusetzen.

Neben rechtlichen und steuerlichen Anreizen für Großinvestoren sind Änderungen im Arbeitsrecht ein weiteres Kernstück des Gesetzes. Unter anderem werden die Probezeit für Arbeiter:innen und Angestellte auf bis zu einem Jahr ausgedehnt, Schwarzarbeit für Unternehmer straffrei gestellt und Entschädigungszahlungen bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses abgeschafft.

Die Möglichkeit des Nachkaufs von Versicherungszeiten für Rentner:innen, die weniger als 30 Jahre registrierter Arbeit nachweisen können, bleibt bestehen. Dies ist wichtig, da in den vergangenen Jahrzehnten viele Argentinierinnen und Argentinier in Phasen der Wirtschaftskrise ihre Arbeit gänzlich verloren haben oder in den informellen Bereich ausweichen mussten.

Überschattet war die Abstimmung im Senat unter anderem durch eine Anzeige wegen Bestechlichkeit gegen die Senatorin Lucila Crexell von der Partei Juntos por el Cambio des Ex-Präsidenten Mauricio Macri. Ihre Zustimmung soll im Tausch für einen Posten als Unesco-Botschafterin erfolgt sein.

Während die Debatte lief, demonstrierten Tausende vor dem Kongressgebäude gegen das Gesetz. Dabei kam es zu vereinzelten Ausschreitungen. Zwei Autos gerieten in Brand. Von unterschiedlicher Seite wurde der Verdacht geäußert, es hätte sich dabei um gezielte Provokationen eingeschleuster Regierungsagenten gehandelt. Die Sicherheitskräfte antworteten mit massiver Gewalt. Es wurden Tränengas, Gummigeschosse und Wasserwerfer eingesetzt. Mindestens 36 Personen wurden festgenommen, mehr als hundert wurden verletzt. Anzeigen untere anderem wegen terroristischer Aktivitäten sind bereits eingebracht.

Die Regierung feierte indes das Ergebnis der Abstimmung und das Agieren der Polizei. In einem offiziellen Kommuniqué hieß es: "Das Büro des Präsidenten beglückwünscht die Sicherheitskräfte für ihr hervorragendes Einschreiten gegen terroristische Gruppen, die mit Stöcken, Steinen und sogar Granaten einen Staatsstreich herbeiführen wollten."